„Mittelalterkochbücher“ – Rezensions-Duell Nr. 2

Für alle, die keine Lust haben, den ganzen Artikel zu lesen:
Kauft ‚Das Kochbuch des Mittelalters‘ von Trude Ehlert!
Lasst die Finger von ‚Das Buch von guter Speise – Mittelalterlich kochen‘ von Jacob Blume!

Es gibt da draußen eine Menge Kochbücher mit mittelalterlichen Rezeptumsetzungen.
Für viele Einsteiger sind solche Bücher der erste Berührungspunkt mit dem Thema überhaupt. Daher ist es auch so wichtig, gleich ein wirklich gutes Buch zur Hand zu  nehmen.

Einige empfehlenswerte Bücher habe ich in meiner Literaturliste schon vorgestellt. Jetzt möchte ich mir aber die Zeit nehmen, dazu auch ordentliche Rezensionen zu verfassen, damit man weiß, wofür man sein Geld ausgibt.
Und ich möchte vor Allem auch jene Bände rezensieren, die ich NICHT in meine Liste aufgenommen habe. Man soll ja auch verstehen, warum ich sie für nicht empfehlenswert halte.Dies ist der zweite Artikel, in dem ich ein gutes einem weniger guten Werk gegenüberstellen möchte.
Den ersten findet ihr hier.Beginnen wir mit dem empfehlenswerten Werk, damit man dafür nicht erst lange scrollen muss.

Trude Ehlert – „Kochbuch des Mitteltalters“
Ehlert, Trude „Das Kochbuch des Mittelalters“ Artemis Verlag,  Zürich und München, 1990

Zahlen und Fakten:
246 Seiten, fest gebunden.
Inhaltsverzeichnis
16 Seiten Einführung
Rezeptteil (ca. 180 Rezepte)
Menüvorschläge
Bibliographie
Zitat- und Bildnachweise
Abkürzungsverzeichnis
Rezeptverzeichnis

Neu nicht mehr erhältlich
Preis gebraucht (amazon.de per 12.08.20.): Angebote starten bei EU 1,59 (Wer außerhalb von Amazon kaufen möchte, dem sei das ZVAB (zentrales Verzeichnis antiquarischer Bücher)  empfohlen.)

Das Buch macht einen soliden Eindruck, ist aber recht unauffällig. Dies ist definitiv ein Buch zum Lesen, keines zum Anschauen.

Der Inhalt:

Einführung / Theorieteil:
Trude Ehlert ist Germanistin und war Universitätsprofessorin. Sie ist außerdem die Grand Dame der frühen deutschsprachigen Kochbuchliteratur.
Und darauf spezialisiert sich auch das Buch: die deutschsprachigen Kochbücher des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.
So schreibt Ehlert zum Beispiel, dass es vor der Mitte des 14. Jahrhunderts keine Kochbücher gegeben hätte, was bei mir erst einmal ein großes Fragezeichen und ein „Was? Nein!“ ausgelöst hat.
Aus ihrer Sicht hat sie aber recht, es gab nämlich keine deutschsprachigen Kochbücher.
Wenn man diesen Fokus verstanden hat, versteht man auch, warum Ehlert auch frühneuzeitliche Werke mit einschließt – weil sie im Kontext der frühen, deutschen Kochbuchliteratur wichtig sind.
Das Hauptmanko des Buches liegt also darin, dass die Ziele nicht korrekt definiert sind. Es handelt sich nicht so sehr (oder nicht nur) um ein Kochbuch des Mittelalters als um ein Kochbuch zur frühen deutschsprachigen Kochbuchliteratur.

Da Trude Ehlert wissenschaftlich arbeitet und der Rest des Buches wirklich ganz ausgezeichnet ist, verstehe ich die falsche Bezeichnung bzw. das Fehlen der genauen Zielsetzung so gar nicht.
Das Ziel exakt zu formulieren und dann am Anfang auch entsprechend dar zu legen ist eines der ersten Dinge, die man zum wissenschaftlichen Arbeiten lernt.
Möglicherweise entstand der Text in einem Umfeld, in dem es logisch erscheint, dass es sich um einen fest definierten Ausschnitt mittelalterlicher Kochbuchliteratur handelt, weil das nun einmal Trude Ehlerts Hauptforschungsgebiet ist?
Trotzdem: Wer sich für die deutschsprachige Kochbuchliteratur interessiert, ist hier ganz wunderbar aufgehoben.

Die Einführung vor dem Rezeptteil umfasst nur 16 Seiten und vermittelt darin mehr fundierte Information als so manches ganze Buch.
Wie es sich für einen ernstzunehmenden Wissenschaftler gehört, weist Ehlert auch darauf hin, dass man manche Dinge eben nicht hundertprozentig weiß.  Aber sie bietet für diese Punkte stichhaltige Theorien an.

Rezeptteil:
Der Rezeptteil ist sehr umfangreich. Mit fast 180 Rezepten bietet das Buch unter den vergleichbaren Bänden mit Abstand die größte Menge an Rezepten. Dabei reicht die Bandbreite vom einfachen Eintopf bis zum komplexen Schaugericht.

Die Rezepte sind nach den Hauptzutaten sortiert, wie das auch in vielen anderen Büchern dieser Art der Fall ist.
„Bei der Auswahl der Rezepte hatte das Alter die höchste Priorität.“ stellt Ehlert in der Einführung zum Rezeptteil fest. Wahrscheinlich meint sie damit einen Zugang, wie ihn auch Constance Hieatt in ihrem Buch „The Culinary Recipes of Medieval England“ verfolgt, bei dem die jeweils älteste, bekannte Version eines bestimmten Rezepts im Buch vorgestellt wird.
Und wenn man die Datierung der Rezepte durchgeht, stellt man schnell fest, dass der allergrößte Teil dem ältesten deutschen Kochbuch, dem Buoch von guoter Spise entnommen ist.

Die Rezepte enthalten jeweils den editierten Originaltext und die Umsetzung.
Leider wurde bei den Rezepten selbst kein Hinweis zu deren Herkunft inkludiert. Man findet die Angaben im Buch zwar, aber es muss dafür ein wenig geblättert und nachgelesen werden.
Gerade weil Ehlert ja auch so viel Wert auf das Alter legt, wäre es zielführend gewesen, die Angaben direkt dem Rezept beizufügen.

Die Rezepte selbst sind übersichtlich und gut zu realisieren. Man merkt, dass Ehlert sehr viel Erfahrung mit dem Umsetzen mittelalterlicher Rezepte hat.
Der Rezeptteil ist mit Sicherheit sowohl für Anfänger als auch für Profis in der mittelalterlichen Küche ein hervorragender Anlaufpunkt.

Fazit:

Definitive Kaufempfehlung – trotz kleiner Schwächen.
Das Buch ist nicht umsonst ein gern empfohlener Klassiker auch unter Leuten, die sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen.
Es bietet eine Menge an solider, gut umsetzbarer Information, seien es Rezepte oder geschichtlicher Hintergrund.
Allerdings sollte man – gerade wenn man das Buch an einen Einsteiger weiter empfiehlt – unbedingt die Tatsache mit der deutschsprachigen Kochbuchliteratur hinzufügen, denn sonst könnte ein falscher Eindruck entstehen.

Nun zum „Gegenspieler“

Jakob Blume -„Das Buch von guter Speise – Mittelalterlich kochen“
Blume, Jacob „Das Buch von guter Speise – Mittelalterlich kochen“ Werkstatt GmbH, Göttingen, 2004

Zahlen und Fakten:
223 Seiten, kleinformatig, fest gebunden
Inhaltsverzeichnis.
80 Seiten Einleitung
Rezeptteil (160 Rezepte)
Menüvorschläge
Rezeptregister
Stichwortverzeichnis
Literaturverzeichnis
Anmerkungen.
Bezugsadressen (beschränken sich auf Adressen von Gärtnereien und Saathändlern zum Bezug von Saatgut etc.)

Preis neu (amazon.de per 31.07.2020): EU 16,90

Der Eindruck ist wertig und das Buch wirkt durch die geringe Größe sehr handlich.
Ansonsten ist der Band unspektakulär. Das Buch enthält kaum Bilder und ist auch sonst sicher eher ein Buch zum Lesen als zum Anschauen.

Der Inhalt:

Eines vorweg: Der Titel „Das Buch von guter Speise“ suggeriert, dass es sich um ein Buch zum entsprechenden Werk (Das Buoch von guoter Spise, 14. Jhd) handelt. Das ist es aber nicht!
Das hat mich schon beim Kauf massiv gestört – bestenfalls Nachlässigkeit, schlimmstenfalls Etikettenschwindel schon auf dem Einband.
Und wenn man auf diese Weise Interessierten auf der Suche nach  Übersetzung/Edition/Sekundärliteratur zum Originalbuch regelrecht ein Bein stellt, werde ich … dezent unleidlich.

Einführung / Theorieteil:
Die Einleitung gestaltet sich ausführlich und zu einem großen Teil auch solide.
Es gibt aber ein paar Ausreißer, wie etwa die Behauptung, dass die beschriebenen Rezepte mit einer damals ’normalen‘ Küchenausstattung gar nicht herstellbar gewesen wäre. DAS zeigt, dass Herr Blume kein Mittelalter Darsteller ist. Denn dann wüsste er, dass sehr, sehr vieles mit mittelalterlichem Werkzeug zu machen ist. Man muss nur ein wenig umdenken.
Blume bedient außerdem einige übliche Klischees, wie das von der Gabel (Besteck, nicht Küchenutensil), die die Kirche verboten hat, weil sie dem Dreizack des Teufels ähnlich sieht.  Tatsächlich hat man Gabeln schon früh im byzantinischen Raum benutzt. Die Geschichte mit der teuflischen Gabel hat ihren Anfang wohl eher im ersten Auftauchen der Gabel im europäischen Raum durch byzantinischen Einfluss. Dabei wurde die Gabel das eine oder andere Mal als affektiert angesehen, als eitle Spielerei. Verboten war dabei aber gar nichts. Die Gabel war in Europa bereits im ausgehenden Frühmittelalter und eventuell auch schon vorher bekannt. Es hat nur eine Weile gedauert, bis die Tischsitten und Moden in der europäischen Kulinarik auf die Gabel gekommen sind.
Ein weiterer, leider sehr beliebter Mythos ist der von der Hexenverfolgung im Mittelalter. Obwohl es nicht zum Thema passt, sage ich es hier trotzdem noch einmal: Die Hexenverfolgungen gehören in die Neuzeit, nicht ins Mittelalter!

Von anderen Büchern zur Rezeptumsetzung unterscheidet sich Blume  durch etwa 20 Seiten mit Tipps zum Sammeln von Wildkräutern, inklusive einer Auflistung von Eigenschaften der gängigsten Kräuter.
Das wäre löblich, wenn Blume sich an zwei Dinge gehalten hätte:
1. die Information, dass Kräuter im Mittelalter zum allergrößten Teil eben NICHT in der Wildnis gesammelt, sondern in Gärten gezogen wurden und
2. wenn er sich auf die kulinarischen Eigenschaften beschränkt hätte.
Er listet nämlich immer wieder auch medizinische Details.
Auch damit hätte ich rein grundsätzlich kein Problem, denn Medizin und Kulinarik lässt sich im Mittelalter nicht trennen. Aber Blume hätte – wieder – zwei Dinge beachten müssen:
1. genau zitieren, wo er seine Information her hat und sich auf die mittelalterliche Deutung beschränken und
2. darauf hinweisen, dass Kräuter wirkliche, echte Wirkstoffe enthalten, mit denen man nicht leichtfertig herumspielen sollte, nur weil es gerade so schön in das romantische Bild von der mittelalterlichen ‚Weisen Kräuterfrau‘ passt (übrigens auch das ein beliebtes Klischee, das hier bedient wird).

Rezeptteil:
Was mich bei Blume aber am Meisten stört ist nicht die Einführung sondern die Rezepte selbst.
Auch er verzichtet im allergrößten Teil der Rezepte auf einen Nachweis. Statt dessen wird fröhlich drauflos geschrieben, in vielen Fällen GANZ eindeutig Rezepte, die dem Autor wohl irgendwie mittelalterlich passend vorgekommen sind, aber ganz sicher nicht mittelalterlichen Ursprungs sind. Nämlich dann, wenn Tomaten und Kartoffeln in den Rezepten vorkommen. Das alleine reicht eigentlich schon, um das Buch zu disqualifizieren.

Aber dann kommt noch so ein nicht tot zu kriegender Mythos dazu, der wohl der Sache mit dem Kräutern entspringt: Blume präsentiert Rezepte von Kräutertees und von Eichelkaffee.
Das Mittelalter kannte keine Kräuteraufgüsse als Genussmittel. Selbst in der Medizin werden Kräuter eher in Wein oder Bier angesetzt. Hier habe ich einen kleinen Artikel dazu geschrieben.

Und dann … tja, als wäre das alles noch nicht genug, präsentiert uns Herr Blume inmitten all der ‚mittelalterlichen‘ Rezepte ….  den Hildegardkeks. Warum mir allerspätestens hier danach war, den Kopf in tiefer Verzweiflung gegen die nächste Wand zu schlagen ist hier zu lesen.

Fazit:

Keine Kaufempfehlung. Es gibt bessere Arten, Geld los zu werden.

6 Gedanken zu „„Mittelalterkochbücher“ – Rezensions-Duell Nr. 2“

  1. Hallo Christa,
    wie du sicherlich bemerkt hast, hat mich Jacob Blumes Buch in meinem zweiten Buch „Mein new Kochbuch“ 2005 dazu veranlasst nochmals über „Verbotene Speisen“ zu schreiben, incl. ein großformatiges Foto derselben zu erstellen. Besonders ärgerlich an diesem Buch ist der Titel, der anderes vorgibt als es ist. Da fallen viele darauf rein, sogar die Schreiber des Blogs IG 14, die im Januar 2016 Blumes Buch als ein „Klassiker unter den Mittelalter-Kochbüchern“ anpreisen. Da frage ich mich, ob sie Blumes Buch überhaupt gelesen haben.

    Trude Ehlerts Buch ist ein wirklicher Klassiker, wenn mir auch nicht alle Rezeptumsetzungen zusagen. Doch war sie in Deutschland die erste Germanistin, die sich getraut hat, mittelalterlich Kochbücher auch auch solche zu betrachten und sie nicht nur durch die Germanistenbrille zu sehen.
    Nicht wenige Germanistikstudenten waren in den 80ern überrascht, dass man nach dem „Buch von guter Spise“ auch kochen kann.
    Insgesamt wieder eine gute Arbeit von dir/euch.
    Liebe Grüße
    Peter

    1. Hallo Peter,

      vielen Dank für das Lob und vor Allem: Danke fürs Lesen 🙂
      Ich freu mich immer über deine Kommentare.

      Grade weil die Ehlert eine Vollblut-Wissenschaftlerin ist, hat es mich gewundert, dass der tatsächliche Fokus des Buches nirgendwo genannt wird. Ich vermute fast, dass das irgendwie dem Verlag/Lektorat zum Opfer gefallen ist. Weil ich mir absolut nicht vorstellen kann, dass die Ehlert selbst sowas nicht irgendwo definieren würde.

      LG
      Christa

  2. Tja – da kann man nichts hinzufügen. Die Ehlert liegt bei jedem Lager in der Kochkiste, den Blume möcht ich für seinen Etikettenschwindel (denn genau deshalb hab ich das Buch damals erworben) sein eigenes Buch am liebsten rektal applizieren… Das 1350er Buch entsprechend aufzuschreiben, komplett nachzukochen und zu qualifizieren, das wär mein Traum, allein hab ich die Zeit nicht dazu…

    1. Hallo,
      naja, das Buoch von guoter Spise komplett als Kochbuch heraus zu bringen, wäre auch eine riesen Aufgabe.
      Ich persönlich wäre schon glücklich über eine wirklich gute, kommentierte Übersetzung ins Neuhochdeutsche.

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