Rezension – Anne Schulz „Essen und Trinken im Mittelalter 1000 – 1300“

 

Schulz, Anne „Essen und Trinken im Mittelalter (1000 – 1300)  – Literarische, kunsthistorische und archäologische Quellen“ Ergänzungsband zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 74, De Gruyter, Berlin/Boston, 2011

Zunächst das Wichtigste: es handelt sich bei diesem Buch (wie aus der Quellenangabe ersichtlich) um einen Ergänzungsband zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, basierend auf der Dissertation von Anne Schulz. Die vorliegende Neuauflage ist eine erweiterte und überarbeitete Version von 2011. Das heißt: wir haben es mit einem recht aktuellen, wissenschaftlichen Werk zu tun.  Daher kann man davon ausgehen, dass die Erkenntnisse nach wissenschaftlichen Standards gewonnen wurden und noch nicht (oder wenigstens nicht gravierend) veraltet sind.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Es handelt sich hier NICHT um ein Kochbuch! Statt dessen geht es um alles rund um Nahrungsmittel, Küchenpraxis und Ernährung. Anne Schulz hat die gewaltige Aufgabe auf sich genommen, das Essen und Trinken in der Zeit von 1000 – 1300 anhand einer ganzen Reihe von Quellen zu untersuchen.

Entsprechend gliedert sich das über 800 Seiten umfassende Buch wie folgt (Grobgliederung ohne Unterkapitel):

  1. Cause Operandi (Hier erklärt Schulz zunächst ihre Vorgehensweise, die Einschränkungen und Notwendigkeiten ihrer Forschung.)
  2. Fest und Mahl – Essen und Trinken in der höfischen Literatur
  3. Die Tafel im Bild (Malerei als Quelle)
  4. Ländliches Nahrungswesen im Spiegel der Dichtung
  5. Das Leben in städtischen Siedlungen
  6. Essen und Trinken in kirchenlichen Kreisen
  7. Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
  8. „daz muosen tiure näphe sin“ – Tischgerät und Küchenutensilien
  9. Zusammenfassung und Ausblick
  10. Literaturverzeichnis (sehr umfangreich!)

Weiters folgt ein langer, ausführlicher Anhang über beinahe weitere 200 Seiten mit Kapiteln zur Konservierung von Lebensmitteln, Hygiene, Ernährungsbedingte Krankheiten, die Küche als Ort, etc.

Und schließlich noch einmal etwa 50 Seiten mit Tabellen, Registern und Nachweisen.

Das Buch ist sicherlich nicht populärwissenschaftlich, aber dennoch gut lesbar und vor Allem sehr gut strukturiert. Man weiß zu jeder Zeit wo in Schulz‘ Ausführungen man sich befindet, man muss selten sehr lange nach Zeitangaben suchen und sie schweift kaum einmal ab. Das macht das Buch auch zu einem recht handlichen Nachschlagewerk.

Es empfiehlt sich lediglich, ein paar Markierungen zwischen den einzelnen Hauptkapiteln und der entsprechenden Passage in der Zusammenfassung zu setzen (in meinem Fall altmodisch per Zettel). So wie es sich gehört findet sich in der Zusammenfassung die Kurzversion der vorher diskutierten Kapitel. Man kann also recht schnell auf die Hauptargumente zugreifen und sie weiter verwenden.

In der Zusammenfassung findet man übrigens auch ein Kapitelchen mit einer nicht unkritischen Passage zum Thema Mittelaltermärkte bzw. zu der von MA-Märkten geförderten Mittelalterrezeption .

Das Buch enthält, wie oben angedeutet, eine sehr große, sehr umfangreiche Literaturliste. Alleine das ist ein Schatz für unsereins. Obskure Zeitschriftenartikel finden sich hier ebenso wie die Hauptwerke zum Thema.

Eine riesige Menge an gut recherchierter Information also. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass man sie kritiklos hinnehmen sollte! Mein Exemplar ist mit kleinen Fragezeichen-Zetteln gespickt, wo ich entweder nicht der Meinung der Autorin bin oder ich die Aussage grundsätzlich für falsch halte. Ein kleines Beispiel dazu: Auf Seite 319 erörtert Schulz die Ernährung im Winter und sagt dazu „im Winter ließ sich ja an Gemüse oder Obst lediglich auf den Tisch bringen, was dörrbar oder z. B. durch Einlegen […] oder Einsalzen dauerhafter wurde.“Dabei übersieht sie, dass es eine ganze Reihe von Obst- und Gemüsearten gibt, die sehr gut roh lagerbar sind. Dazu gehören die meisten Rübenarten, ebenso wie viele, gerade auch alte, Apfel- und Birnensorten.

Auch ganz offensichtliche Fehler, die auf eine Wissens- oder Wahrnehmungslücke schließen lassen gibt es. Auf S. 631 ist ein Bild aus einer Handschrift (Anfang 13. Jhd) zu sehen, auf der ein Mann kocht, der eine Bundhaube trägt. Schulz hält den Mann für eine Köchin, „deren Haar durch eine Haube fast ganz bedeckt ist.“ Kennt man sich in der Kostümkunde ein wenig aus, ist sofort klar, dass es sich nicht um eine Frau handelt.

Persönlich finde ich es auch schade, dass Anne Schulz keinerlei Bezug auf die erhaltenen Kochbücher nimmt, der Großteil davon mag jünger sein als der von ihr bearbeitete Zeitschnitt, es gibt aber auch einige erhaltene Sammlungen aus dem Hochmittelalter. Ein kurzes Kapitel zu dem Thema wäre angebracht gewesen.

Trotz seiner Fehler halte ich das Buch für ein absolutes Standardwerk zum Thema und würde jedem, der sich mit der Materie beschäftigt die Lektüre empfehlen.  Man erhält fundierte Recherche, eine Vielzahl an Quellen und eine solide Grundlage. Und natürlich viele, viele Ansatzpunkte um selber weiter zu recherchieren – was für unsereins ja fast das Beste daran ist 🙂

 

Leim und Sülze

Wer ans Kochen denkt, denkt ganz sicher nicht an Leim. Leim ist im historischen Zusammenhang etwas für Tischler oder auch für Maler. (Lt. Theophilus Presbyter, Ausgabe von Erhard Prepohl, Böhlau Verlag, 2013 ab Kapitel 17) Aber sicherlich nicht für Köche … oder?

Nunja. Eigentlich schon. Im Mittelalter wurde Leim nämlich aus Tierprodukten gemacht. Aus Knochen, Haut, Fischabfällen und ähnlichem.  Je nach Rezeptur haben diese Leime eine mehr oder weniger starke Klebekraft.

Der Punkt, den ich hier verfolgen möchte ist aber, dass das genau die selben Zutaten sind, die man auch für Gelatine verwendet. Und ja, liebe Leute da draußen, das ist auch heute noch der Fall. Das Zeug, das eure Tortenfüllungen davor bewahrt davon zu rinnen? Das die Sülze zusammenhält? Das die Gummibären nach Bären aussehen lässt? Schlachtabfälle.

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Ausflug in die Zukunft – Eine Pilzsauce aus dem 18. Jhd.

Also bevor jetzt jemand fragt: Nein, ich werde dem Mittelalter nicht untreu. Jedenfalls nicht für lange 🙂 Tatsache ist aber, dass ich das Rezept für „Mushroom Ketchup“ schon ausprobieren wollte, als ich es 2012 das erste Mal bei „18th Century Cooking“ gesehen habe.

Es handelt sich dabei um eine You Tube Serie, die von der Firma Townsends herausgegeben wird. Genau genommen ist der ganze Channel Werbung, denn Townsends ist ein amerikanischer Online-Versand für Reenactmentzubehör. Aber es ist sehr gute und mit Herz gemachte Werbung mit viel gut recherchiertem, historischem Hintergrund.

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Küchenorganisation

Heute gab es auf Facebook eine seltsame Frage: Jemand wollte sich einen ‚Anbau‘ für die Lagerküche bauen um Gewürze, etc. aufzuheben. Meine Antwort war: „Ich habe noch nie mit einem ‚Anbau‘ gekocht – ein normaler Tisch ist vollkommen ausreichend. Wenn der Aufwand größer ist, dann eben entsprechend mehr Tische … Alles eine Frage guter Organisation.

Und ich habe mir gedacht, ich nehme das zum Anlass und schreibe hier mal ein bisschen was zur Küchenorganisation. Ich habe inzwischen schon für vier Leute gekocht und für fast 100. Alles nach mittelalterlichen Rezepten und mit mittelalterlichem Werkzeug. (Und IMMER waren Tische ausreichend.)

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Fastenwurst?

Ein kleiner Nachtrag zu meinem Experiment, von dem ich hier geschrieben haben: https://friedrich-und-hildegard.at/2018/03/17/eine-wurst-aus-ei-und-kaese/

Ich habe mir nämlich die Frage gestellt, ob das überhaupt als Fastenspeise durchgeht, wenn da doch Schweinedarm drum herum ist. Hätte man den Darm entfernt?

Meiner Meinung nach wäre das abhängig davon, wie streng man die Fastenregeln ausgelegt hat. Das ist ja auch im Mittelalter verschieden umgesetzt worden und kleine Schummeleien waren sicher üblich. Den Darm schmeckt man ja auch in dem Sinn nicht – da könnte man sicher mit ein wenig theologischem Geschick und Wissen das ‚Schwein‘ wegargumentieren.

Rezeptbücher wie das Liber de Coquine entstanden ausschließlich im Umfeld vermögender Haushalt – von späteren Büchern haben wir auch die Autoren und das sind durchwegs Köche an Fürstenhöfen.  Und an diesen Höfen war das Spielen mit dem Essen sehr üblich – auch im 12. Jhd schon. Einfärben von Speisen, das fantasievolle Gestalten von Pasteten, das Schmücken des Essens, etc … und das passt dann wieder gut mit der Wurst zusammen. Vielleicht könnte man sie als Scherz definieren „Wir haben zwar Fastenzeit aber wir tun mal so als würden wir Wurst essen.“

Im Gegensatz zu normalen Wurstrezepten lässt sich diese Wurst ja auch nicht als Möglichkeit der Haltbarmachung umsetzen. (Wobei es jetzt schon spannend wäre, was passiert, wenn man das Ganze räuchert … )

Eine Wurst aus Ei und Käse

Im Liber de Coquina gibt es ein interessantes Rezept: eine vegetarische Wurst. Natürlich ist diese Art von Gericht vor Allem als Fastenspeise gedacht. Hier zunächst einmal der Text:

„7.58 (Aliter): recipe budellum bene lotum cum aqua calida et sale. Deinde ova debatuta, caseum grattatum, safranum, species et herbas odoriferas tere et misce simul; et hiis budellum impleatur. Postea ponatur ad bulliendum in aqua calida. Deinde assetur in craticula.“

„(Auf andere Art): nimm mit Wasser und Salz gut ausgewaschenen Darm. Dann zerstoße geschlagene Eier, geriebenen Käse, Safran, Gewürze und aromatische Kräuter und vermische sie, und damit wird der Darm gefüllt. Nachher wird es in heißes Wasser zum  Kochen aufgesetzt. Dann wird es auf dem Rost gegrillt.“

(Maier, Robert (HG, Übers.) „Liber de Coquina – Das Buch der guten Küche“ Robert Maier, Freising 2005 – 2017, LC II (7), S. 103)

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„Man hat so viel gewürzt um den Geschmack von verdorbenem Fleisch zu verdrängen.“

Ich habe ja gesagt, dass ich hier auch Gedanken zum Thema posten werde. Sachen, die mir unterkommen, wenn ich über meiner MA-Recherche sitze. Hier ist der erste davon:

Ein Gedanke, den ich gestern hatte: Wir alle wissen ja, dass das „Viele Gewürze gegen den Geschmack von verdorbenem Fleisch.“ Blödsinn ist.
Ich habe mich aber gefragt, wo das her kommt. Jetzt kann es natürlich sein, dass das irgendwann (vielleicht im historikverliebten 19. Jhd) einem inspirierten Herrn aus der Feder geflossen ist.
Was, wenn das Ganze aber schlicht ein Missverständnis oder Übersetzungs- bzw. Überlieferungsfehler ist? Was, wenn es nie geheißen hat ‚verdorbenes Fleisch‘ sondern schlicht ‚altes Fleisch‘ – und zwar nicht im Sinn von schlecht sondern im Sinn von lang gelagert/konserviert.
Denn DAS kann ich mir gut vorstellen: Viele Gewürze gegen den Geschmack von LANG GELAGERTEM Fleisch. Ewig eingesurt, ewig geräuchert, ewig getrocknet, ewig eingesalzen kann das schon zum Hals raushängen und hat – vor Allem nach notwendigem, langem Wässern – wahrscheinlich nicht mehr SOOO den großartigen Geschmack. Besonders, wenn man das schon lange essen musste und wenn man weiß, wie gut dagegen frisches Fleisch schmeckt …