Das Geheimnis der Stärke

Begonnen hat alles mit dem Mandeln melken und mit meiner Frage nach dem Grund, warum Mandelmilch sich zu einem Pudding kochen lässt. In dem Artikel habe ich darüber spekuliert, ob die Menge von Stärke in Mandeln reicht um das Eindicken zu erklären, konnte aber nirgends weitere Infos darüber finden.
Und dann ist im vergangenen September „Speisen auf Reisen“ von Ylva Schwinghammer erschienen. (Mehr zum Buch hier und an dieser Stelle ein Danke an Ylva und ihre Co-Autoren von der Universität Graz und ein Hinweis auf ihr großartiges Blog Nahrhaftes Mittelalter!)
Jedenfalls in „Speisen auf Reisen“ … traraa … ein Rezept für „Mandelstärke“!
‚Ha!‘ habe ich gedacht ‚Erstens: es gibt die Mandelstärke und zweitens: man wusste davon und hat sie extrahiert.‘

Aber zunächst eine Grundsatzfrage: Stärke. Was ist das eigentlich?
Lassen wir Wikipedia zu Wort kommen:

„Stärke (lat. Amylum) ist eine organische Verbindung. Sie ist ein Polysaccharid mit der Formel (C6H10O5)n, das aus α-D-Glucose-Einheiten besteht. Das Makromolekül zählt daher zu den Kohlenhydraten. Stärke ist einer der wichtigsten Reservestoffe in pflanzlichen Zellen, während der tierische bzw. menschliche Organismus sowie Pilze Glycogen als Kohlenhydratspeicher benutzen.“

Das sagt uns aber noch nicht sehr viel darüber, wie man mit Stärke kocht. Grundsätzliches: Als ‚Stärke‘ bezeichnet man in der Küche die extrahierte, also pure Stärke. Die gängigsten Formen heute sind Mais- und Kartoffelstärke. Man bekommt aber auch Reis-, Weizen-, oder Erbsenstärke zu kaufen. In Asien wird heute noch Süßkartoffel- oder Mungobohnenstärke auch nicht-industriell extrahiert. (Aus beiden kann man z. B. Glasnudeln herstellen.)

Stärke ist fast vollkommen geschmack- und geruchlos und kann so jedem Gericht beigefügt werden, ohne dessen Geschmack zu verändern.
Aber was MACHT das Zeug denn nun? Stärke wird in der Küche hauptsächlich zum Eindicken und als Stabilisator verwenden.Außerdem hilft sie dabei, gebackene oder frittierte Speisen knuspriger zu machen. (Wer hat schon mal auswärts so richtig schöne, knusprige Süßkartoffelpommes gegessen während die, die man zuhause macht irgendwie immer weich und labbrig bleiben? Tja. Das Zauberwort heißt Stärke!)
Also vereinfacht gesagt: Stärke nimmt viel und schnell Wasser auf. Dazu kommt, dass sich die Stärkemoleküle bei Hitzeeinwirkung miteinander verbinden.
Stärke ist in der heutigen Küche also kein Lebensmittel, das man um seiner selbst willen verwendet, sondern ein reines Werkzeug.

Und wie ist das nun mit der Stärke im Mittelalter?

Stärkeherstellung lässt sich schon recht früh belegen, nämlich schon bei den Römern.
Plinius der Ältere listet in seiner Enzyklopädie „Naturalis Historia“ (um 77 n. Chr.) bereits die Herstellung von Weizenstärke:

„CHAP. 17.—AMYLUM.
Amylum is prepared from every kind of wheat, and from winter-wheat as well; but the best of all is that made from three-month wheat. The invention of it we owe to the island of Chios, and still, at the present day, the most esteemed kind comes from there; it derives its name from its being made without the help of the mill. Next to the amylum made with three-month wheat, is that which is prepared from the lighter kinds of wheat. In making it, the grain is soaked in fresh water, placed in wooden vessels; care being taken to keep it covered with the liquid, which is changed no less than five times in the course of the day. If it can be changed at night as well, it is all the better for it, the object being to let it imbibe the water gradually and equally. When it is quite soft, but before it turns sour, it is passed through linen cloth, or else wicker-work, after which it is poured out upon a tile covered with leaven, and left to harden in the sun. Next to the amylum of Chios, that of Crete is the most esteemed, and next to that the Ægyptian. The tests of its goodness are its being light and smooth: it should be used, too, while it is fresh. Cato, among our writers, has made mention of it.“

Für das Mittelalter habe ich den ersten Beleg im 10. Jhd. in der arabischen Kulinarik gefunden. Dort wird Stärke recht oft genutzt,  auch hier handelt es sich normalerweise um Weizenstärke, wenn es wohl auch andere Varianten gegeben hat.

Nawal Nasrallah erläutert in ihrem Glossar zu „Annals of the Caliphs‘ Kitchens“ (10. Jhd) wie folgt:
„nasha […]
starch, usually stored as dry and solid lumps and dissolved in liquid when needed. In the recipes, there is always a precautionary note to taste it lest it should be sour.
nashd qalb […]
starch extracted from hearts of seeds and grains, but mostly from wheat grains, called lubab al-qamh […] which Ibn al-Baytar rates as the best of starches.
He also describes how to extract it: Coarsely ground good quality wheat grains are used. They are washed and soaked inwater overnight after removing their husk. In the morning, the starchy residue in the bottom and sides of the container is dislodged to let it dissolve in the liquid. More water is poured into the container, and the grains are stirred and strained in a fine sieve.
The same procedure is repeated with the strained grains to get all the starch out of them. When the liquid settles, the clear water is poured off slowly leaving behind starch that has settled in the bottom of the container. The method is, more or less, similar to a recipe in the Istanbul manuscript.
Starch extracted this way is used immediately as a liquid suspension.
Ibn al-Baytar adds an important step to be followed when starch is made for storage: the extracted starch has to be spread on new tiles to dry in the sun lest it should get sour. When used in dried form, the recipes call for pounding it in a mortar, tasting it for sourness, and dissolving it in liquid.“

Der Einsatz von Stärke zieht sich auch durch die anderen arabischen Kochbücher des Hochmittelalters. Man findet entsprechende Rezepte im 13. Jhd im“Baghdad Cookery Book“, in „Scents and Flavors“ und auch im „Anonymous Andalusian Cook Book.“.

Hier der Auszug zum Extrahieren von Weizenstärke aus Andalusien:
„Take good wheat, put it in a washtub, and cover it with good, fresh water. Change the water after two or three days so that the wheat softens and makes talbina [releases its starch into the water], as is done for starch. Then remove the water and press with the feet in the bottom of a rush basket, or by hand if there is only a little of it. Sieve into a bowl what comes out of the pith. Then pour a little fresh water over the wheat bran to wash it. Squeeze it until none of the pith remains. Put all this in a bowl and leave it in the sun until it binds together. Strain from it the flour water that is left over, time and again, until it thickens. Then pour it in a cloth and hang it so that it drips until it dries, and expose it to the sun if you want to make starch. This is the recipe for starch. Do not let it get near dew or it will spoil. When the khubaiz has been made, take some of it before it dries — it will be like yogurt — and beat it with your hand until it is smooth. If you wish, dissolve dry starch in fresh water so that it comes out according to this description, and make from it.“

Aber natürlich blieb die Stärke auf dem Weg nach Europa nicht im maurischen Spanien hängen. Hier ein Auszug aus dem  Manuskript „Additional 32085“ aus der British Library (13. Jhd., Anglo-Normannisch):
„Wheat starch.
How to make a year’s supply of wheat starch which will keep as long as desired.
Take clean wheat around St. John’s Day and put it in a vessel; for nine days, put plenty of clean water with the wheat; every day the wheat is to be well washed and the water changed; then grind thoroughly, put back into clean water, and let stand overnight; then strain and place on a cloth in the sun until dry; when it is dry, take it and put it in a clean vessel; keep it as long as you wish, well covered and cut into pieces, etc.“

Nein, ich habe die Mandelstärke nicht vergessen.

Wir kommen jetzt nämlich zu „Speisen auf Reisen“, dem alle folgenden Informationen entnommen sind:

Das Rezept für Mandelstärke findet sich im „Púch von den chósten“ (1. Hälfe 15. Jhd., Handschrift CGM 415) , bzw. in dessen Vorgängermanuskripten, dem „Minhadj al-bayan“ (11. Jhd) und in weiterer Folge dem „Liber de Ferculis“ (13. Jhd).
Weil die Überlieferungsgeschichte dieser Rezepte so gut dokumentiert ist, möchte ich ein paar Worte dazu verlieren. Man kann hier nämlich perfekt verfolgen, wie arabisch/persische Küche nach Europa gelangt ist und wie sie überliefert wurde.
Das „Minhadj al-bayan“ von Ibn Djazla ist im Bagdad des 11. Jahrhunderts entstanden. Es handelt sich um ein Werk zur Medizin, das auch über 100 Kochrezepte enthält.

Das Buch bzw. dessen Inhalt taucht dann im 13. Jhd in lateinischer Sprache in Oberitalien auf. Dort – wie überall in Europa zu dieser Zeit – hatte die Oberschicht ein besonders großes Interesse an der arabischen Küche. Der Übersetzer ist ein Gelehrter, bei dem es sich wahrscheinlich um Zambonino da Gaza von Cremona handelt. Das „Liber de ferculis et condimentis“ wurde ganz sicher in mehreren Ausgaben überliefert, es ist jedoch nur eine Version in der Französischen Nationalbibliothek in Paris erhalten geblieben. Bei dieser Version fehlen fast ein Drittel der Rezepte aus dem „Minhadj al-bayan“ obwohl es sich ansonsten um eine sehr detailgetreue Übersetzung des Originals handelt.

In weiterer Folge findet sich das Ganze dann eben noch einmal zweihundert Jahre später in Bayern wieder und zwar in der oben genannten Handschrift CGM 415, dem „Púch von den chósten“. Diesmal handelt es sich aber um eine Version in Frühneuhochdeutsch. In dieser Version sind die Rezepte vollständig, wie ursprünglich im „Minhadj al-bayan“ vorgegeben.
Wir wissen, dass es sich beim „Púch von den chósten“ nicht um eine Übersetzung direkt aus dem Arabischen handelt, weil der bayerische Verfasser selbst die Übersetzung von Jambonio von Cremona (also das „Liber de ferculis“) als Quelle angibt.
Letzteres bedeutet auch – und das ist gerade für die Kulinarikforschung für das Hochmittelalter wichtig – dass die erhaltene, lateinische Fassung des „Liber de ferculis“ in Paris nicht die einzige gewesen sein kann. Die in dieser Fassung fehlenden Rezepte hat der bayerische Übersetzer ja ebenfalls inkludiert. Man kann also davon ausgehen, dass die vollständige Übersetzung der  Rezepte aus dem „Minhadj al-bayan“ auch im 13. Jhd vorhanden war.

Das folgende Rezept für die Extraktion von Mandelstärke ist eines der Rezepte, die in der Version aus dem hochmittelalterlichen Frankreich fehlen. Daher übernehme ich hier die ursprüngliche Version aus dem „Minhadj al-bayan“.

„Nasha al-lawz (Mandelstärke)
Sie ist kälter und feuchter als die Weizenstärke und feiner als die Mandel. Man nimmt zwei Teile von dieser Stärke und einen Teil Weizenstärke für die Dinge, die man mit Stärke zubereiten will, dann werden sie am feinsten. Zubereitung: Mandeln häuten, sorgfältig auslesen wegen des Geschmacks, damit die Stärke keine bitteren Mandeln enthält, zerstoßen, bis sie zu feinem Pulver geworden sind, mit dem Wasser verquirlen, diese Mischung etwas ruhen lassen, damit sich die groben Teile in der Zeit, die sie dafür benötigen, absetzen, das oben Schwimmende in ein sauberes Gefäß mit Wasser abgießen, ruhen lassen, das Wasser klar werden lassen, den Bodensatz nehmen und diesen trocknen lassen.“

Allgemein gesprochen muss aber gesagt werden, dass Rezepte mit Stärke im hochmittelalterlichen Europa zwar sicher bekannt, aber nicht besonders zahlreich waren. Ich denke, das liegt an der noch fehlenden Vertrautheit mit dem Produkt an sich, aber vor Allem mit dem Extraktionsprozess.
Im Spätmittelalter wird Stärke dann deutlich häufiger verwendet.

Hier einige Rezepte aus dem Hochmittelalter.

Die ersten beiden stehen vertretend für die arabisch/maurischen Quellen:

Scents and Flavors (Syrien, 13. Jhd)

„Al-rawandi
Grind starch and sieve it. Boil honey until it is thickened to the thread stage. Work in the starch, then form it into rings and put one into boiling sesame oil. If it rises, good; if not, increase the starch. When fried, put it in lukewarm honey.“

Anonymous Andalusien Cook Book (13. Jhd)

„Roast Lamb Breast [literally, „flank“]
Pound a ratl of meat in a stone mortar and add the same amount of cut-up fat, a little onion and both cilantro and coriander and cheese …[word illegible because of a worm hole, Huici Miranda writes; probably an adjective describing the cheese such as „fresh“]… and almonds, a large handful of shelled and pounded walnuts, and some murri naqî to moderate its taste; add to it Chinese cinnamon, pepper, ginger and pound all this with the meat until it is mixed, and knead it until uniform. Then take a breast of plump ram and cleave it between the ribs and the meat, and fill it with the stuffing; then sew it up with gut or palm leaves and smear the breast with oil and dust it with ground starch. Hang it in a tannur and shut it, and when it is ready, take it out and present it: it is a good roast.“

Und nun zwei Varianten des selben Gerichts, einmal aus England, einmal aus Italien:

Additional 32085, British Library (England, 13. Jhd)

„Mincebek [fritters].
Here is another dish, which is called mincebek.Take wheat starch and crumble it in a mortar; if you do not have any, take  best white flour; and blend (the starch or flour) with almond milk or tepid water, and a little yeast or sourdough; take a bowl and make a hole in it, and pour the mincebek through the hole into (hot) oil or grease; and then take  sugar and boil up a syrup; immerse the mincebek in this, and sprinkle with  salt, and then serve.“

Liber de Coquina (Italien, 13. Jhd)

„Mistembec
bereitet man folgendermaßen zu: nimm aufgegangenen Weizenteig, so viel du willst, und ein bißchen in lauwarmem Wasser gelöstes Stärkemehl; damit verrühre den oben erwähnten Teig, so daß er wie eine dicke Eiersuppe wird, und laß ihn durch eine Schüssel laufen, die unten und an der Seite ein Loch hat, und laß es in heißes Öl oder Schweineschmalz fließen, indem du es nach Belieben in verschiedeneverschie Formen ziehst. Nachdem sie durch das Frittieren erstarrt sind, und so lange sie noch heiß sind, wirf sie in einen mit Zucker oder Honig gemachten Sirup und nimm sie sofort  wieder heraus.
Sirup erhält man folgendermaßen: löse Zucker in kochendem Wasser auf. Danach, mache es mit Schalen von Eiern (oder Eiweiß?) klar, die du benutzt Manche Leute machen es nach Art von Teig dicker und rühren es auf dem Tisch mit einem runden Holz, um rosenartige Formen zu erhalten. Danach geben sie es zum Frittieren in Öl.“

Extrahieren von Stärke – Ab in die Küche.

Nachdem ich obige Rezepte zur Stärkeextrakion gefunden hatte, hat es mir natürlich keine Ruhe gelassen. Ich wollte das selber ausprobieren.

Weizenstärke

Die obigen Rezepte unterscheiden sich in Details, aber wenn man alles auf einen gemeinsamen Nenner herunterbrechen will, dann lautet der Ablauf: Weizen einweichen, zerkleinern, die Stärke in Wasser auswaschen, das nun stärkehaltige Wasser vom Weizen trennen und dann stehen lassen. Die Stärke setzt sich im Laufe mehrerer Stunden unten ab. Das nun fast klare Wasser erneut abgießen und den Bodensatz (also die Stärke) trocknen.

Daran habe ich mich dann auch gehalten:
(Bei den folgenden Fotos bitte – wie immer – draufklicken für die große Version)
Ich habe Dinkel verwendet und 250 g davon für ca. 2 Tage eingeweicht. Das Wasser habe ich im Laufe dieser Zeit 5 mal gewechsel. Am Ende dieser Einweichzeit war der Dinkel so weich, dass man die Körner zwischen den Fingern zerdrücken konnte.
Danach habe ich den Dinkel im Mörser angedrückt. Eine klebrige Angelegenheit bei der man die Haupteigenschaft der Stärke bereits sehr deutlich bemerkt.
Danach habe ich das Ganze in ein Tuch gegeben und die Stärke in Wasser ausgewaschen.
Stärkehaltige Wasser nach dem Auswaschen.
Die Stärke am Boden der Schüssel noch einem Tag ruhen lassen und dann abgießen.
Ich habe den Bodensatz auf ein Backblech gestrichen und 5 Stunden im Backrohr bei 35 Grad getrocknet. Das war das Ergebnis.
Nach dem Zerkleinern der Stärkebrocken kann man sehr gut sehen, dass tatsächlich ein sehr feines Puder entsteht – so wie man Stärke eben kennt. Nun kann man das Ganze abfüllen. Trocken und für Ungeziefer unerreichbar aufbewahrt, kann die Stärke fast unbeschränkt gelagert werden.
Mandelstärke
Und dann war da diese geheimnisvolle Mandelstärke, die natürlich ebenfalls näher begutachtet werden wollte.
An sich ist das Rezept aus dem „Minhadj al-bayan“  nicht besonders kompliziert:
Mandeln mörsern, mit Wasser mischen, kurz stehen lassen, bis die größeren Stücke abgesunken sind, dann das Wasser behutsam abgießen und stehen lassen bis sich ein Bodensatz bildet. Dieser Bodensatz ist die Stärke. Wieder Wasser abgießen und das, was zurückbleibt trocknen.
Gut, ich habe also genau das gemacht, allerdings sind beim ersten Abgießen einige größere Stücke in das Wasser geraten. Ich habe also alles noch einmal durch ein Tuch abgeseiht – genau wie ich das auch beim Weizen getan habe. Im Prinzip bin ich damit meinem Rezept für Mandelmilch gefolgt, das ich hier beschrieben habe – nur mit dem Unterschied, dass ich kaltes Wasser verwendet habe.
Wie beim Weizen habe ich das Ganze stehen lassen.
Das sieht nicht so viel anders aus als das Bild von dem Stärkewasser oben beim Weizen nicht wahr?
Tja.
Es war aber ganz und gar nicht das Selbe. Nach einem Tag ist nämlich das hier heraus gekommen:
Auf dem Boden der Schüssel war nichts. Das, was man hier noch sieht ist reines Mandelöl. Alles, was über die 24 Stunden passiert ist, war, dass sich das Fett oben abgesetzt hat. Unten war dagegen gar nichts.
Ein klassischer Fehlversuch, also.
Und nachdem die Mandeln mir nun einmal keine Ruhe lassen, habe ich es noch einmal versucht und mich diesmal genau an das Rezept gehalten.
Danach sah das Wasser so aus:
Man kann deutlich erkennen, dass sich unten etwas abgesetzt hat.
Das Ergebnis nach dem Abgießen des Wassers. Anders als beim Weizen gab es hier aber keine klebrige, sehr feine Schicht.
Auch diesen Versuch habe ich im Backrohr bei 35 Grad getrocknet. Man sieht jetzt schon, dass es GANZ anders aussieht als Stärke. Alles ist sehr viel gröber und als ich das Pulver zwischen den Fingern verrieben habe, ist ein deutlicher Fettfilm zurück geblieben.
Auch das habe ich aber weiter zerkleinert. Spätestens jetzt sieht man den Unterschied mehr als deutlich. Es entsteht kein Puder sondern eine weit gröbere Konsistenz.
Resultat: Was im „Minhadj al-bayan“ als „Mandelstärke“ bezeichnet wird, ist keine. Vielmehr handelt es sich um sehr feines Mandelmehl.
Auch das erfüllt natürlich seinen Zweck, denn dieses Produkt ist sehr viel feiner als alles, was man in einem Arbeitsgang mit einem Mörser herstellen könnte. Es wird außerdem ganz sicher auch Saucen sehr gut binden und mit Weizenstärke vermischt (wie Ibn Djazla das ja empfiehlt) wird es sich auch gut frittieren oder backen lassen.
Aber … es ist eben keine Stärke.

Fazit: Wieder was gelernt.

Mandeln enthalten zwar Stärke, aber im Vergleich zu Dinkel sehr wenig (Mandel: 4,5g/100g, Dinkel: 70,19g/100g).

Möglicherweise ist die Stärke in der Mandel auch anders gebunden als in anderen Pflanzen.
Und vielleicht ist es doch etwas anderes, was den Mandelpudding eingedickt hat.
Was bleibt ist die Erkenntnis, dass man Mandelstärke kaum extrahieren kann, jedenfalls nicht  mit den überlieferten Methoden.
Der Weizen dagegen hat alles gehalten, was die Rezepte versprochen haben. Das Produkt sieht genauso aus wie Stärke auszusehen hat und verhält sich auch genauso.

Für mich persönlich war das ganze Experiment und auch die Recherche dazu wieder einmal sehr ergiebig. Es zeigt nämlich wie kompliziert Bezeichnungen in der mittelalterlichen Küche sind und wie vorsichtig man an die Rezepte heran gehen sollte.

Grundsätzlich lohnt es sich fast immer, einen Blick in die Originale zu werfen und zu sehen, was der Übersetzer daraus gemacht hat. Gerade, wenn einem einzelne Zusammenhänge nicht schlüssig erscheinen.
Im Fall der Mandelstärke (‚Nasha al-lawz‘) kann allerdings der Übersetzer nichts dafür, denn, wie man aus Nasrallahs Glossar ja herauslesen konnte IST ’nasha‘ das korrekte Wort für Stärke.
Damit taucht man beim Kochen in eine weitere Dimension ein – nämlich in den Kopf des Verfassers bzw. des Kochs. Denn natürlich kann der Verfasser sich irren, kann falsche Angaben machen, Dinge falsch benennen, es können auch nicht korrekte Bezeichnungen im Umlauf sein (siehe hier auch z. B. ‚Mandelbutter‘), Ungenauigkeiten können sich einschleichen oder der letztendliche Schreiber hatte schlicht keine Ahnung vom Kochen.
Es gilt also kritisch zu bleiben und nicht zu vergessen, dass da vor vielen hundert Jahren auch nur Menschen gekocht bzw. die Rezepte niedergeschrieben haben.

 

Verwendete Literatur:

Wikipedia – Stärke

Wikipedia – Dinkel

Wikipedia – Mandel

Lopéz-Alt, Kenji „The Food Lab – Better Homecooking through Science“, W. W. Norton & Company, New York, 2015

The Natural History. Pliny the Elder. John Bostock, M.D., F.R.S. H.T. Riley, Esq., B.A. London. Taylor and Francis, Red Lion Court, Fleet Street. 1855.
Link zur obigen Übersetzung online – Stärke

Nasrallah, Nawal (Ed. Transl.) „Annals of the Caliphs‘ Kitchens – Ibn Sayyar al-Warraq’s Tenth-Century Baghdadi Cookbook“ Islamic History and Civilization, Volume 70, Koninklijke Brill NV, Leiden, 2007

Perry, Charles (Übers.)  „Scents and Flavours: A Syrian Cookbook“ New York University Press, 2017

Perry, Charles (Übers.) „An Anonymous Andalusian Cookbook of the 13th Century“, Homepage von David Friedman http://www.daviddfriedman.com/Medieval/Cookbooks/Andalusian/andalusian_contents.htm (letzter Zugriff: 06.06.2019)

Schwinghammer, Ylva, Wolfgang Holanik, Andrea Hofmeister-Winter „Speisen auf Reisen – Das frühneuhochdeutsche Púch von den chósten und seine Wurzeln im lateinischen Liber de ferculis und im arabischen Minhādj al-bayān in synoptischer Edition mit Übersetzung und überlieferungskritischem Kommentar“ Grazer Mediävistische Schriften, Quellen und Studien, Band 2, Uni-Press, Graz, 2019

Maier, Robert (Hrsg, Übers.) „Liber de Coquina – Das Buch der guten Küche“ F. S. Friedrich Verlag, Frankfurt 2005

Hieatt, Constance B., Robin F. Jones „Two Anglo-Norman Culinary Collections Edited from British Library Manuscripts Additional 32085 and Royal 12.C.xii“ In: Speculum 61/4, 1986

 

6 Gedanken zu „Das Geheimnis der Stärke“

  1. Hallo Christa,
    vielen Dank für den Hinweis auf „Speisen auf Reisen“. Ich habe es mir gleich zuschicken lassen und war hocherfreut meine „Orientalisch -mittelaterliche Küche“ in den Quellen zu finden. Über 10 der im SaR abgedruckten Rezepte hatte ich 2009 veröffentlicht, allerdings aus der Quelle „al-baghdadi“. Die anderen kannte ich nicht. Jetzt kann man natürliche spannende Vergleiche über die weitere Entwicklungs“reise“ der Rezepte ziehen.
    Aber nun zu deiner „Mandelstärke“. Ich kann deine Freude gut nachvollziehen, wenn man etwas lange sucht und dann unverhofft fündig wird. Aber nicht nur Stärkemoleküle können Speisen eindicken, sondern auch Proteinketten. Hierzu kann ich folgendes Tb empfehlen: Peter Barham, Die letzten Geheimnisse der Kochkunst, Hintergründe, Rezepte, Experimente, 2005. ISBN 978-3-492-24359-9.
    Hier wird die Mandelstärke zwar nicht expliziet genannt, aber die chemischen und physikalischen Vorgänge beim Eindicken anschaulich erklärt. Ein Buch, das sich lohnt.
    Viel Spass und Erfolg bei deiner wirklich großartigen Arbeit. Respekt!
    Liebe Grüße
    Peter
    PS. Wo seid ihr 2020 unterwegs?

    1. Hallo Peter 🙂

      Danke für den Literaturtipp! Wird gleich auf die Liste gesetzt.

      Und danke für das Lob – ich habe leider nicht so viel Zeit wie das Hobby es verlangen würde aber Spaß habe ich auf jeden Fall daran 🙂

      Es gibt diverse Veranstaltungen in diesem Jahr, ich bin aber nur 5 – 7. Juni in Gelnhausen dabei. Es ist halt eine weite Anreise von hier aus.
      Vielleicht hast du ja Lust in Gelnhausen vorbei zu schauen?

      Liebe Grüße
      Christa

      1. Hallo Christa,

        da ich in Gelnhausen wohne und auch für die Veranstaltung fotografieren werde, werden wir uns wohl täglich sehen.
        Da freue ich mich schon.
        Liebe Grüße
        Peter

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