„Die Saucen aus Poitou“ oder „Die Durham-Rezepte“

„Die Saucen aus Poitou“ und „Die Durham-Rezepte“. Beide Begriffe sind seit einigen Jahren in der Living-History-Szene im Umlauf – meistens mit einem frustrierten Unterton und fast immer gefolgt von „Wann gibts da endlich eine Publikation?“

Aber worum gehts eigentlich? Hauptsächlich um diesen Artikel, der 2013 auf der Homepage der Universität Durham erschienen ist:
„Newly discovered 12th century recipes to be recreated at Durham University event.“

Darin wird von der Entdeckung mehrerer Saucenrezepten inmitten eines medizinischen Manuskripts aus dem 12. Jahrhundert berichtet. Das Besondere daran ist, dass das die älteste mittelalterliche Rezeptsammlung aus dem westeuropäischen Raum überhaupt ist. Davor gibt es römische Rezepte, Apicius‘ „De re coquinaria“ zum Beispiel, oder Ernährungsempfehlungen wie Anthimus‘ „De observationem ciborum“.
Aber eben keine Rezepte, die sich mit den späteren, wie sie z. B. im Liber de Coquina nieder geschrieben wurden, vergleichen lassen.
Bis zu diesem Zeitpunkt.
Daher also … große Aufregung und kollektives Warten in den entsprechenden Ecken der Mittelalter-Szene.
2017 schließlich erschien in der ‚English Historical Review‘ ein Artikel zum Thema (vollständiges Zitat siehe unten), auf den sich meine folgenden Ausführungen stützen.
Der Artikel war wirklich nicht einfach zu finden, daher hier ein großes DANKESCHÖN an Robert Maier, dessen deutsche Übersetzung des Liber de Coquina wohl jeder Mittelalter-Kochfan schon in der Hand hatte. Er war so freundlich, mich auf den recht obskuren Artikel aufmerksam zu machen.
Nun aber zum Inhalt.

Medizin und Ernährung

Zu beachten ist die Platzierung der Saucenrezepte inmitten von medizinischen Beschreibungen und Herstellungsanweisungen für Medikamente. Im gesamten Abschnitt der ‚Saucen aus Poitou‘ wird allerdings keinerlei Bezug auf deren gesundheitliche Wirkung genommen. Es wird lediglich erwähnt, zu welchen Speisen welche Sauce gegessen werden soll – etwas, das auch in späteren Rezeptsammlungen Gang und Gäbe ist.
Der medizinische Zusammenhang ist natürlich trotzdem immer vorhanden – einfach, weil sich Medizin und Ernährung im Mittelalter nicht trennen lassen.
Wie immer bleibe ich aber bei der kulinarischen Seite.

Zutaten

Folgende Zutaten werden in den Rezepten genannt:

Heimische Kräuter und Gewürze:
Petersilie
Salbei
Knoblauch
Korianderkraut
Thymian
Balsamkraut (Frauenminze)
Bohnenkraut
Eberraute
Yssop
Lorbeer
Ingwer
Galgant
Senf
Kümmel (nicht sicher, die Lesart ist nicht klar)

Exotische Gewürze:
Pfeffer
Zimt
Nelken
Zitwerwurzel
Indische Narde
Kreuzkümmel (s. Kümmel)

Anderes:
Essig
Honig
Verjus (?)
Rosinen (?)

Warum so viele Fragezeichen bei Verjus und Rosinen?
Im Artikel selbst bringen die Autoren ’sucum racemorum colatum‘ direkt mit Verjus in Verbindung.  Es wird leider nicht erklärt, wie die Autoren zu ihrem Schluss kommen. Gibt es in anderen Texten einen deutlicheren Zusammenhang? Die Interpretation ist aber sicher möglich. Besonders die häufige Verwendung von Essig (also einer sauren Grundkomponente) in den anderen Poitou-Rezepten deutet darauf hin, dass der ‚gefilterte Rosinensaft‘ Verjus sein könnte.
Allerdings könnte es ebensogut Traubensaft, Most oder Wein bedeuten und die Autoren übersetzen beim Rezept selbst dann auch ganz richtig mit „gefilterter Saft von Rosinen“.
Ich habe mir vorgenommen, das entsprechende Rezept in diversen Varianten auszuprobieren.

Zubereitung und Vergleich

Im Prinzip sind die Zubereitungsmethoden sehr einfach. In den meisten Rezepten wird der ausgepresste Saft der Kräuter verlangt, vermischt mit anderen Komponenten wie Essig, Knoblauch oder Pfeffer.

In einem Fall (für ‚Hühnchen im Winter‘) sollen die Zutaten ‚in warmes Wasser‘ gegeben werden – in diesem Fall nehmen die Autoren an, dass das auch die Brühe sein könnte, in der das Huhn gegart wird. Ich bin damit nicht einverstanden, weil es, abgesehen vom warmen Wasser, keine Hinweise darauf gibt. Gerade weil es sich hier so eindeutig um ein Wintergericht handelt, das ganz offensichtlich besonders warm gegessen werden soll, würde eine kalte Sauce einfach keinen Sinn ergeben – eine warme aber sehr wohl.

Ebenfalls aus der Rolle fällt das letzte Rezept, das sich mit der Haltbarmachung von Ingwer beschäftigt, der in Honig eingelegt wird. Dies ist auch das einzige Rezept, das auf eine größere Bandbreite an exotischen Gewürzen zurück greift.  Anders als bei den anderen Saucen wird diese Ingwerzubereitung auch keinem Gericht zugeordnet.

Der auffälligste Unterschied zu späteren Rezepten (zum Beispiel aus dem Liber de Coquina): Die Rezepte stützen sich weitestgehend auf Kräuter, die im Westeuropa des 12. Jhds. heimisch waren. Exotische Gewürze bleiben – abgesehen von dem oben erwähnten Ingwerrezept – außen vor. Lediglich Pfeffer wird sehr häufig verwendet.

Ein anderer Unterschied ist das Fehlen von Bindemitteln, die in den späteren Rezepten häufig vorkommen – meistens in Form von gemörserten Mandeln oder Brot – und die damit einhergehende ungewohnt flüssige Konsistenz.
Das mag jetzt ein bisschen wenig für einen wirklich stichhaltigen Vergleich sein aber mich erinnert das an die ‚flüssigen‘ Gewürze bei Anthimus – Liquamen (römische Fischsauce) oder die Sauce zu Schwein aus 2 Teilen Essig und 1 Teil Honig.
Auch hier hat man das Gefühl, es eher mit einer Art ‚Dipping-Sauce‘ zu tun zu haben als mit dickflüssigeren Saucen.

Die Sauce Nr. 1 – Umsetzung

„Incipiunt diuersa genera pictauensium salsamentorum.
Petrosilini et saluie succum cum aceto distemperatum cum pipere et allio \\ fortiter trito commisce. et cum his carnem sulcitam comede.“

„Here begin various kinds of Poitou condiments.
Mix juice of parsley and sage which has been tempered with vinegar with finely ground pepper and garlic; and eat sausage with this.“

Wie man sieht, fehlt in dem Rezept Salz. Man kann das sicher als besondere medizinische Maßnahme werten aber ich persönlich glaube eher, dass man das weggelassen hat, weil es für einen geübten Koch ohnehin klar sein sollte.
In anderen Rezeptsammlungen des Mittelalters werden ebenfalls Rezepte ohne Salz gelistet – allerdings findet sich da am Ende so etwas wie „Und alles muss gesalzen werden.“ oder am Anfang „Du sollst nicht zu viel salzen.“ Die Verwendung von Salz war also ebenso selbstverständlich wie anderes Wissen, das man für selbsterklärend hielt, wie genaue Zubereitungsmethoden und exakte Mengen.

Sowohl Zutaten als auch Anleitung des obigen Rezeptes sind recht einfach. Ich habe das für eine kleine Menge wie folgt umgesetzt: (Für größere Fotos bitte wie immer die Thumbnails anklicken.)

1,5 Bund Petersilie
6 Salbeiblätter
1 kleiner Schuss Essig
1/2 Knoblauchzehe
1 kleine Prise Pfeffer
1 kleine Prise Salz

Die Kräuter gemeinsam mit dem Salz sehr gründlich mörsern. Meiner Meinung nach hier wichtig: Unbedingt die Petersilienstängel mit verarbeiten. Sie enthalten besonders viel Flüssigkeit. Wenn man das Ganze mörsert, sieht es erst einmal gar nicht so aus als könnte man da tatsächlich Saft rauspressen.

Tatsächlich geht es dann aber wirklich überraschend gut. Ich habe alles in ein sauberes Tuch gegeben und dann mit den Händen gründlich ausgedrückt.

Danach habe ich zunächst den Essig dazu gegeben und dann die restlichen, ebenfalls gemörserten, Gewürze. Bei den Gewürzen muss man behutsam sein, weil sie sonst den Geschmack der Kräuter erschlagen. Daher habe ich mich hier auf sehr kleine Mengen beschränkt. Und das hier ist passiert, als ich den Essig hinein gegeben habe. Durch die Säure ist die eher dunkle Flüssigkeit intensiv Giftgrün geworden 😀

Wie oben geschrieben habe ich eine kleine Menge gemacht. Da wir aber noch andere Saucen zu unserem Essen hatten, war das mehr als ausreichend und es ist auch noch was übrig geblieben. Interessanterweise ist die Sauce nach einigen Stunden – wie Tee – noch nachgezogen. Der zuerst eher unauffällige Salbei hat deutlich zugelegt, allerdings ohne unangenehm zu werden.
Alles in Allem hat das anders geschmeckt als jede andere Kräutersauce, die ich bisher gegessen habe und natürlich ganz, ganz anders als die sehr viel intensiveren, würzigeren Saucen aus späteren Kochbüchern. Denn natürlich schmeckt es ‚wässrig‘ aber auch aromatisch. Tatsächlich ein bisschen wie gewürzter Kräutertee. In diesem Fall haben wir zwar nicht – wie vorgeschrieben – Wurst dazu gegessen sondern Schweinebraten, aber das Fleisch hat ganz wunderbar dazu gepasst und ich werde das Experiment ganz sicher mit geräucherten Würsten wiederholen.

Fazit: Die ‚Durham Rezepte‘ mögen nicht allzu beeindruckend sein, wenn man sich die Sammlung das erste Mal ansieht. Es sind nicht viele, sie sind kurz, viele klingen ähnlich.
Aber ich fand gerade den großen Unterschied zu den Saucen aus späteren Kochbüchern ausgesprochen spannend. Dass das Mittelalter eine große Vorliebe für Saucen hat ist nichts Neues. Aber für mich hat sich durch die Durham Saucen eine neue Sichtweise auf die frühe, mittelalterliche Kochkultur ergeben, ganz davon abgesehen, dass ich endlich einmal etwas aus meiner Darstellungszeit probieren konnte.

Literatur:

Gasper, Giles, Faith Wallis „Salsamenta pictavensium: Gastronomy and Medicine in Twelfth-Century England“ The English Historical Review, Volume 131, Issue 553, 1 December 2016, Pages 1353–1385

„Newly discovered 12th century recipes to be recreated at Durham University event.“ Durham University, 2013 https://www.dur.ac.uk/news/newsitem/?itemno=17380 (zuletzt abgerufen am 13.05.2019)

5 Gedanken zu „„Die Saucen aus Poitou“ oder „Die Durham-Rezepte““

  1. Hallo Christa und René,
    auch ich gehöre zu denjenigen, die auf eine Veröffentlichung von „Zinziber“ warten. Leider hat euer Artikel für mich nicht viel Neues gebracht. Eure Quelle kenne ich auch, konnte oder wollte aber wegen des Zugangs (36€) nicht aus ihr schöpfen.

    Das Sauchenrezept 1 habe ich schon August 2013 in Karfunkel 107 unter dem Artikel: Zinziber, Rezepte aus dem 12. Jh. veröffentlich. Wie ihr habe auch ich Salz hinzugegeben, aber nicht den Saft ausgepresst, sondern alles zu einer Paste verarbeitet. Zu den gebratenen Schweinewürsten hat es wunderbar geschmeckt.

    Auch den eingemachten Ingwer habe ich ausprobiert und veröffentlicht. Karfunkel Allerley Tafeley 3. Auch dieses Rezept schmeckt gut.

    Kennt ihr mich eigentlich von der Ronneburg? Ich habe für MIM immer fotografiert.

    Liebe Grüße

    Peter

    1. Hallo Peter 🙂

      Ja, wir kennen uns vom 30-Jahr-Jubiläum der IG Wolf. Ich war eine von den Köchinnen (klar 🙂 ).
      Soweit ich es in Erfahrung bringen konnte, wurde das geplante Buch nie heraus gegeben. Lt. Verlag gab es zwar schon das ganze Drumherum (inkl. Titelbild) aber es gab wohl private Probleme bei den Autoren. Die Deadline wurde immer wieder verschoben und schließlich wurde das Projekt gestrichen. Diese Info ist von Anfang diesen Jahres.
      Ob das Projekt inzwischen neu aufgegriffen wurde, weiß ich allerdings nicht.
      Nachdem ich mich schon eine Weile sehr intensiv mit dem Kochen vor 1200 beschäftige, war es für mich mehr oder weniger Pflicht, den Artikel zu kaufen. Auch wenn er sehr teuer ist.
      Übrigens: ich bin ein Fan und habe alle deine Bücher 😀

      Liebe Grüße
      Christa

    2. Oh, und noch eine Kleinigkeit zum Ingwer: hast du den Honig zu Karamell gekocht und die Ingwerscheiben ‚kandiert‘ oder hast du den Ingwer im eingedickten Honig liegen lassen?

      1. Hallo Christa,

        den präparierten Ingwer habe ich in den vorher eingedickten Honig gelegt. Hier verbleibt er auch bis zum Verzehr. Manche Ingwerscheiben waren ähnlich, wie frischer Ingwer recht knackig. Kandiert habe ich ihn nicht, wohl aber Zitrusfrüchte und auch grüne Mandeln.

        Liebe Grüße
        Peter

        1. Hallo,

          ok, danke. Eventuell versuche ich dann mal eine Version in Honig-Karamell – einfach, weils mich interessiert 🙂

          LG
          Christa

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