Rezension: Renate Breuss „Das Maß im Kochen“

Breuss, Renate „Das Maß im Kochen – Messen und Proportionieren in Küche und Kunst – Mengen- und Maßangaben in Kochrezepten von der Antike bis zur Einführung der metrischen Maße im 19. Jahrhundert und deren Parallelität zu künstlerischen Gestaltungsprinzipien“, Haymon, Innsbruck, 2015

Das Buch unterteilt sich wie folgt:

  • Maß, Form und Zeit
    Der Mensch
    Das Nahrungsmittel
    Die Gefäße, Geräte und Heizquellen
    Das historische Umfeld unter Berücksichtigung der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen sowie der religiösen und diätetischen Vorschriften
  • Maß und Messpraxis im untersuchten Rezeptmaterial
    Die Antike
    Das Mittelalter
    Die frühen Handschriften
    Die italienischen Handschriften
    Die ersten gedruckten Kochbücher
    Das 17. Jahrhundert in Frankreich
    Die deutschen Kochbücher des 17. und 18. Jahrhunderts
    Kochbücher nach der französischen Revolution

Bei dem gelisteten Untersuchungsmaterial haben wir es natürlich nur mit Auszügen aus den genannten Zeiträumen zu tun.

Damit man Breuss‘ Zugang zur Kulinarik in diesem Buch versteht, muss man wissen, dass sie eigentlich Expertin für Kunstgeschichte ist.
Das Thema Kunst und auch Wahrnehmung und Intention sind ein großes Thema im ganzen Werk. Das ist natürlich gerechtfertigt, wenn man aus dieser Fachrichtung kommt. Wenn man aber die entsprechenden Forschungen aus Sicht von Sprachwissenschaftlern oder Historikern gewohnt ist, ist das Ganze erst einmal reichlich gewöhungsbedürftig.
Ich gebe gerne zu: ich hätte das Buch nach den ersten Seiten fast weggelegt. Zu viel Blah-Blah war mein Eindruck. Aber dann habe ich beschlossen mit einfach einmal darauf einzulassen und habe es nicht bereut.

Breuss nimmt die Beschreibungen von Maßangaben in den genannten Büchern regelrecht auseinander.
Die offensichtlichen Angaben, wie zum Beispiel Hildegard von Bingens oft angewandte Verhältnisangaben kommen zwar natürlich vor aber auch solche, die man sonst gerne überliest.
Wer denkt bei ‚Maßangabe‘ schon an ‚rühre es kräftig‘ oder an ’nimm Rosenblätter ohne Tautropfen‘. Aber genau das sind sie. Das erste eine Angabe der Frequenz mit der die Speise gerührt werden soll (zum Beispiel um Luft hinein zu schlagen), das zweite ein Hinweis darauf zu achten, dass nicht zu viel Flüssigkeit in die Speise gerät.

Ich habe begonnen über meine eigene Küchenpraxis nachzudenken und darüber, wie ich Dinge messe und diese Angaben benenne. Und auch darüber, warum ich das genauso tue und nicht anders, was meine tägliche, praktische Lebens- und Denkenswelt von jener der Köche vor hunderten Jahren unterscheidet.
Tatsache ist nämlich: auch heute, mit all den modernen Möglichkeiten der Messtechnik ist Kochen immernoch keine exakte Wissenschaft. Vor Allem, weil das Material mit dem man arbeitet eben natürliches und daher niemals einheitliches Material ist.
Jedes Mehl ist anders, jedes Stück Fleisch ist anders, daher sind auch jeder fertige Kuchen und jedes fertige Steak ein kleines bisschen anders.
Und dabei rede ich noch nicht einmal von der allseits bekannten Tatsache, dass auch jeder OFEN anders ist. Ganz egal wie modern, jeder Backofen hat seine eigenen Charakterzüge.
Eine erfahrene Köchin arbeitet MIT dem Lebensmittel, nicht dagegen. Ich persönlich finde das schön und beruhigend. Kochen ist eine lebendige Tätigkeit, die viel mit Gespür zu tun hat – egal ob heute oder vor 700 Jahren.

Aber zurück zur Rezension – Zusammenfassend könnte man sagen:
Ich war erst genervt, dann überrascht und dann nachdenklich.
Das Buch ist sicher kein Must-Have für die mittelalterliche Kochbuchforschung – schon gar nicht für Anfänger in der Thematik – aber es ist ein neuer und spannender Blickwinkel auf Gewohntes.
Ich bin froh, dass es in meinem Regal steht.

Das Einzige, was ich wirklich bemängeln möchte ist die Druckqualität. Mein Exemplar ist so unscharf und schlecht gedruckt, dass ich schon Matrizen-Abzüge aus den 80ern in besserer Qualität gesehen habe.

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