„Das frühmittelalterliche Brot war – einer universalgeschichtlich nachweisbaren Erscheinung entsprechend – ein Fladenbrot, ähnelte dem heutigen Knäckebrot. Es wurde auf offenem Herd, bestenfalls unter einer Backglocke ohne Treibmittel zubereitet. Weil zudem der pappige Teig schlecht durchbuk, konnte kein Brotlaib, sondern nur ein flaches Gebäck entstehen. Erst um 1300 wird das Fladenbrot allmählich
durch das Sauerteigbrot verdrängt.“ (Schubert, S. 84)
Dieses Zitat aus Schuberts „Essen und Trinken im Mittelalter“ hat meine Aufmerksamkeit als Erstes auf das Thema Triebmittel im Mittelalter gelenkt. Ich konnte das, was ich da gelesen habe, nämlich schlicht nicht glauben. Triebmittel erst ab 1300? Was? Nun gilt Schuberts Buch als eines der Standardwerke zum Thema Ernährung im Mittelalter – eine Meinung, die ich übrigens ganz und gar nicht teile – also habe ich die Herausforderung angenommen und habe begonnen mich ernsthafter mit dem Thema zu beschäftigen.
Dass es Triebmittel auf jeden Fall schon im 10./11. Jhd. gegeben hat, ließ sich durch einen Blick in Ekkehart von St. Gallens „Benedictiones ad mensas“ rasch klären. (Dazu unten mehr.) Aber das Thema Hefe und Sauerteig im MA lässt mich seither nicht los. Vor Allem die Frage, ob es Hefe als Backzutat gab oder nicht. Oder ist alles, was in den diversen Büchern als Hefe übersetzt wird eigentlich Sauerteig und die Übersetzer sind einfach von falschen Voraussetzungen ausgegangen?
In den meisten Kochbüchern, oder eher: deren Übersetzungen, wird Hefe nämlich als Zutat angegeben, als wäre sie immerschon da gewesen und benutzt worden. Aber war das wirklich so?
Bevor ich in das Thema eintauche, ein kleiner Disclaimer: es ist sehr schwierig, bei Kochthemen im Hochmittelalter zu bleiben. Ich möchte es gerne versuchen und werde daher als Literatur in erster Linie das Buch „Essen und Trinken im Mittelalter 1000 – 1300“ von Anne Schulz anführen. Aber da die allermeisten erhaltenen Kochbücher aus dem Spätmittelalter stammen, muss ich bei der Terminologie zu Hefe und Sauerteig zeitlich weiter greifen.
Hefe – Das erste Haustier des Menschen.
Oder: Was sind Hefe und Sauerteig eigentlich?
Hefe:
Hefepilze treiben den Teig durch das Kohlendioxid, das durch Zusatz von Nahrung (Zucker) und Sauerstoff entsteht. Außerdem wird Alkohol produziert. Wer Hefeteig schon einmal zu lange hat stehen lassen, wird den scharfen Geruch bemerkt haben – das ist dann der Alkohol, der zu stark spürbar wird.
Dass man im Hochmittelalter sicher nicht heute übliche Backhefe verarbeitet hat, ist offensichtlich. Backhefe ist ein, seit Mitte des 19. Jhds nur für diesen Zweck industriell gezüchteter, Hefestamm. Sie hat eine hohe Triebkraft und greift das Klebereiweiß (Gluten) im Teig nicht an.
Wenn man sich mit dem historischen Einsatz von Hefe beschäftigt, kommt man um das Brauen nicht herum. Schon der lateinische Name der Backhefe deutet darauf hin: Saccharomyces cerevisiae (übersetzt etwa „Zuckerpilz des Bieres“). Das Brauen scheint schlicht die wahrscheinlichste Bezugsquelle für Hefe zum Backen zu sein. Wenn man weit in der Zeit zurück geht, zeigt sich, dass schon sehr, sehr früh in der Menschheitsgeschichte gebraut wurde. Zum Brauen von Bier oder Met ist die Fermentation notwendig – und das ist Wiederrum ein Prozess, der (unter anderem) durch Hefepilze geschieht.
Auch heute noch kann man mit obergäriger Bierhefe backen. Es handelt sich ja um den selben Hefestamm wie die Backhefe, der heute je nach Einsatzgebiet anders gezüchtet wird. * Zu beachten ist, dass Bierhefe natürlich nicht den selben Geschmack wie heutige Backhefe hat.
Die Frage ist also: wie üblich war es, Bierhefe aus eigener oder fremder Brauerei zu benutzen um Teig zu treiben?
Sauerteig:
Sauerteig funktioniert durch ein Zusammenspiel von Hefe und Milchsäurebakterien. Auch hier wird der Teig durch das entstehende Kohlenstoffdioxid aufgetrieben.
Besonders wichtig ist der Sauerteig beim Backen von reinem Roggenbrot – Roggenmehl kann nämlich nur durch Sauerteig überhaupt getrieben werden, weil es die Säure braucht um backfähig zu sein. Hefe alleine ist hier nicht ausreichend. Wenn also in einem Text von einem Teig mit Roggenmehl die Rede ist, kann man beim Triebmittel von Sauerteig ausgehen, vorausgesetzt natürlich, es handelt sich überhaupt um aufgegangenes und nicht um Fladenbrot.
Da im Mittelalter in Nordeuropa viel Roggen angebaut wurde, kann man von der Verwendung von Sauerteig ausgehen.
Zuchtprogramm
Oder: Hefe und Sauerteig selber herstellen
Man kann Hefe selber herstellen. Natürlich nicht die heute käufliche Backhefe, die einen sehr reinen Hefestamm darstellt, aber man kann sogenanntes ‚Hefewasser‘ selber produzieren. Dafür braucht es Obst mit möglichst viel wilder Hefe. Trauben bzw. Rosinen eigenen sich gut. Dazu etwas Honig oder Zucker und Wasser. Die Mischung wird stehen gelassen, bis sie beginnt zu fermentieren. Das fertige Hefewasser wird dann dem Vorteig für das Brot zugegeben.
Hefewasser kann weitergezüchtet werden in dem man Wasser nachleert.
Wie alt diese Methode ist, konnte ich aber nicht herausfinden. Soweit ich es weiß, handelt es sich um ein Produkt der modernen Alternativ-Küche, wobei das Ganze wohl in Asien weiter verbreitet ist als hier. Allerdings, und auch das darf man nicht vergessen: Hefewasser ist im Prinzip auch nichts anderes als Fermentation und damit primitives Brauen.
Wie gut die Backergebnisse aus dem Hefewasser sind, kann ich nicht beurteilen, weil ich es noch nicht ausprobiert habe. (Nachtrag: Aber jemand anderer hat, nach dem Lesen dieses Artikels – zu finden ganz unten bei den zwei **)
Sauerteig herzustellen ist, grundsätzlich, ebenfalls einfach – Mehl, warmes Wasser und etwas Zeit. Nach einiger Zeit riecht die Mischung angenehm säuerlich und kann verwendet werden. Sauerteig kann jederzeit weitergezüchtet werden und überlebt sowohl trocknen als auch einfrieren.
Es muss aber erwähnt werden, dass das Thema Sauerteig SEHR viel komplexer wird, wenn man über die Grundelementen hinaus geht. Man wird in fast jedem Kochbuch eine etwas andere Rezeptur finden. Man kann, zum Beispiel, Sauerteig aus mehreren Arten Mehl oder Mischungen daraus herstellen, man kann Zucker dazu geben oder nicht, außerdem kommt viel auf die Führung des Teiges an, also darauf, wie warm und wie lang er steht und wie man ihn ‚füttert‘. Das alles hier aufzulisten, würde definitiv zu weit führen, ein wichtiger Punkt ist aber dennoch, dass die Führung des Teiges maßgeblich darüber entscheidet, wie sauer das Endprodukt ist.
Der große Unterschied zwischen beiden Triebmitteln ist offensichtlich: Säure. Moderne Hefeteige sind nicht sauer, da diese Geschmackskomponente in feinen und süßen Gebäcken nicht gewünscht ist.
Zu beachten ist hier aber, dass auch nicht saurer Hefeteig bzw. der Vorteig aus Backhefe, eine Form von Sauerteig ist. Allerding ist der Bestand von Milchsäurebakterien darin so minimal, dass die Säure nicht ins Gewicht fällt.
Und was sagt die Fachliteratur dazu?
Anne Schulz bezieht sich zunächst auf die Auflistung von Brotarten aus Ekkehart von St. Gallens Tischsegen „Benedictiones ad mensas“. Ekkehart lebte ca. von 980 – 1057, wir haben es also mit einer frühen Auflistung von Brotarten zu tun, die wie folgt lautet:
Original (Zeilen 10 – 17):
Panem lunatum faciat benedictio gratum.
Hoc notet elixium benedictio per crucifixum.
Mulceat hoc frixum benedictio cum sale mixtum.
Panem fac gratum, rex Christe, per oua leuatum.
Sit cruce signatus panis de fece leuatus.
Hoc fermentatum faciat benedictio gratum.
Has deus oblatas faciat dulcedine gratas
Azima signetur cruce paschaque commemoretur.
Übersetzung (v. Paul-Gerd Jürging)
Dieses mondförmige Brot möge der Segen dankenswert machen.
Dieses gesottene Brot möge der Segen durch das Kruzifix kennzeichnen.
Sanft berühren möge der Segen dieses mit Salz vermischte Röstbrot.
Das Brot (Gebäck), das durch Eier zum Aufgehen gebracht ist, mache willkommen, Christus, (unser) König!
Mit dem Kreuz gezeichnet sei das Brot, das durch die Hefe aufgegangen ist.
Dieses (so) „Aufgegangene“ möge der Segen angenehm machen.
Diese Oblaten möge Gott durch Süße angenehm machen.
Das ungesäuerte Brot sei mit dem Kreuze gezeichnet und möge an Ostern (an das Passafest) erinnern.
(Schulz, S. 594 f)
Auf S. 98 greift Schulz einen Lexikonartikel auf, der sich auf diese Listung bezieht und in dem zwischen ‚mit Hefe getriebenem Brot‘ und ‚mit Sauerteig getriebenem Brot‘ unterschieden wird.
Wie man an der obigen Übersetzung aber sieht, ist hier nirgends die Rede von Sauerteig. Statt dessen steht hier „fermentatum“, was man als Sauerteig übersetzen KANN, aber nicht MUSS. Auf das Thema Sprache und Übersetzung werde ich unten noch eingehen, denn das ist ein SEHR zentraler Punkt bei der ganzen Problematik.
Ansonsten erwähnt Schulz die Hefe nur noch einmal im Zusammenhang mit dem Thema Lebensmittelverfälschung. Auf S. 706 f berichtet sie von einer Predigt von Berthold von Regensburg (1210 – 1272), bei der es wie folgt heißt:
Unde der brôtbecke , der swemmet den teic mit hefel: sô dû wænest,
dû habest brôt, sô hâst du den luft für brôt kouft.
Es geht also darum, dass der Bäcker zu viel Triebmittel zugesetzt hat, damit das Brot stärker aufgeht und man daher Luft statt Brot bekommt.
Interessant ist, dass Schulz selbst hier schreibt „[…] dass sie ihrem Brotteig zu viel Hefe oder Triebmittel zusetzten,[…]“ – Sie scheint also selber nicht ganz sicher zu sein, ob tatsächlich Hefe im modernen Sinn gemeint ist oder ob Berthold nicht eher allgemein ein Triebmittel meinte. Womit wir schon wieder bei der Terminologie wären.
Meine Freundin Hildegard
Oder: Hilfe aus dem 12. Jhd
Ich habe in früheren Artikel schon einmal erwähnt, dass Hildegard von Bingen nie Kochrezepte geschrieben hat. All die modernen „Hildegard-Kochbücher“ und „Hildegard-Rezepte“ sind reine Geldmacherei.
Hildegard von Bingen hat Anweisungen zur Ernährung aber vor Allem Beschreibungen von Heilmitteln, deren Einsatzgebiete und deren Anwendung hinterlassen.
Innerhalb dieser Beschreibungen verwendet sie allerdings von Zeit zu Zeit Vergleiche aus der Küche.
In „Causae et Curae“ finden sich zwei Passagen, die sich wie folgt lesen:
In einem Rezept gegen Geschwülste:
De tumore. A diversis quoque humoribus tam bonis quam malis caro et venae hominis ingrossescunt, velut a fermento farina elevatur et intomescit.
Übersetzung von Ortrun Riha, S. 168
(326) Auch durch verschiendenartige Säfte, gute wie schlechte, schwellen Fleisch und Adern des Menschen an, wie Mehl von Hefe aufgeht und quillt.
In einem Rezept gegen Migräne:
De emigranea. Qui emigraneam patitur, aloe et bis tantum myrrae accipiat et haec in minutissimum pulvarem redigat ac deinde farinam similae tolat et his oleum paveris addat et sic massam, scilicet quasi fermentum, faciat et cum hoc fermento totum caput usque at aures et usque at collum tegat pilleo desuper posito et sic per triduum nocte ac die illut super caput suum ponat.
Übersetzung von Ortrun Riha, S. 180
(356) Wer am Halbseitenkopfschmerz leidet, nehme Aloe und doppelt so viel Myrrhe und mache das zu einem sehr feinen Pulver. Dann gebe er Semmelmehl hinzu und füge diesen [Zutaten] Mohnöl bei und mache so eine Masse, also etwas wie Sauerteig. Und mit diesem Teig bedecke er den ganzen Kopf bis zu den Ohren und zum Hals, ziehe eine Mütze darüber und lasse das drei Nächte und Tage auf seinem Kopf.
Wie man sieht, haben wir auch hier wieder das Problem mit der Übersetzung. Obwohl in beiden Passagen ‚fermento‘ bzw. ‚fermentum‘ genannt wird, wird einmal mit Hefe, einmal mit Sauerteig übersetzt.
Sprache, Übersetzung, Terminologie und andere Katastrophen
Man kann sich spätestens hier meine wachsende Verzweiflung vorstellen. Immer wieder stoße ich auf Übersetzungen, die mir Hefe oder Sauerteig vorgeben. Ich freue mich, werfe einen Blick in den Originaltext und aus ist es mit der Freude. Der nächste Schritt also: dem lateinischen Original auf den Grund gehen.
Maier greift in seinem „Glossarium Culinarium Latinum“ zeitlich gesehen eine breite Menge von Kochbüchern auf – von der Antike bis zur frühen Neuzeit. Er listet als lateinisches Wort für Hefe bzw. Hefeteig oder aufgegangener Teig folgende Ausdrücke:
pasta fermentata – Hefeteig
faeces (pl), feces conditi – Hefe (auch Bodensatz)
faex, faecis – Hefe
faex vini – Weinhefe
fermentum – Hefe
fex – Hefe
fermentatus – aufgegangenes/gesäuertes Brot
levatus – aufgegangen
„Sauerteig“ als Übersetzung findet sich bei Maier übrigens gar nicht. Alles, was Triebmittel ist, wird mit „Hefe“ übersetzt. „Fex“ und „fermentatum“ sind hier für mich besonders interessant, weil diese Worte im Liber de Coquina vorkommen – einem der Kochbücher, die zeitlich dem 12. Jhd noch am Nächsten ist.
Alles in Allem muss man sagen: die Terminologie ist definitiv nicht einheitlich. Problem der Ersteller oder Problem der Übersetzer?
Da sich Wortbedeutung ja auch über Jahrhunderte erhalten können, habe ich mir als Nächstes gedacht: schauen wir doch mal, was im Laufe der Zeit aus dieser Wortgruppe geworden ist. Vielleicht bringt das ja eine klare Aufteilung.
Französisch:
levure (de boulanger) – Hefe
le levain – Sauerteig
Spanisch:
levadura – Hefe
fermento (natural) – Sauerteig
Italienisch:
il fermento, il lievito – Hefe
pasta acida, lievito naturale – Sauerteig
Portugiesisch:
levedura – Hefe
levedura natural, fermento natural – Sauerteig
Alles in Allem kann man sicher festhalten, dass Varianten von ‚fermentum‘ eher als Sauerteig bezeichnet werden als als Hefe. Aber das war es dann auch schon mit der Klarheit.
Übrigens: Das deutsche Wort „Hefe“ kommt vom mhd „hebe“ und ahd „heffa“ bzw. „heva“ – also, ganz deutlich, von „heben“, was mich aber auch nicht weiter bringt …
Gehen wir in die Küche.
Oder: Die praktische Seite
Werfen wir doch einmal einen Blick auf die praktische Seite des Ganzen. Vielleicht bringt das ja etwas Licht ins Dunkel des Hefeteigs.
Ich nehme einige Beispiele aus dem Liber de Coquina weil es, wie oben erwähnt, relativ nah am 12. Jhd liegt.
Alle, von Maier gelisteten, Vorkommen von ‚fex‘ drehen sich um Weinhefe, genauer gesagt um Reinigungsmethoden für Weinfässer oder die Klärung von Wein. Das hat also mit dem Backen nichts zu tun.
Bei ‚fermentum‘ wird es interessanter.
Das erste Rezept (S. 109, 8.5) liest sich wie folgt:
[De crispis:] ad crispas accipe farinam albam distermperatam cum aqua calida et fermenta eam cum fermento, ut crescat. Et decoque in sartagine cum oleo bullito. Et, addito melle, comede.
[Von Pfannkuchen (Crepes):] für Pfannkuchen nimm weißes Mehl, das du mit warmem Wasser anrührst, und setze es mit Hefe an, damit es aufgeht. Und backe sie in der Pfanne mit kochendem Öl. Beträufle sie mit Honig und verspeise sie.
Der moderne Instinkt sagt: klar, Hefeteig, rausgebacken – Krapfen. Dafür spricht, dass mit ‚weißem Mehl‘ Weizenmehl gemeint ist, das nicht unbedingt mit Sauerteig getrieben werden muss.
Dennoch ist auch hier eine Variante mit Sauerteig möglich und sollte ausprobiert werden.
Das zweite Rezept (S. 110, 8.10) lautet:
[De lasanis]: ad lasanas accipe pastam fermentatam et fac tortellum ita tenuem sicut poteris. Deinde divide eum per partes quadratas ad quantitatem trium digitorum. Postea habeas aquam bullientem salsatam et pone ibi ad coquendum predictas lasanas. Et quando erunt fortiter decocte, accipe caseum grattatum.
Et si volueris, potes simul ponere bonas species polverizatas, et pulveriza cum istis super cissorium. Postea fac desuper unum lectum de lasanis et iterum pulveriza; es sic fac usque cissorium vel scutella sit plena. Postea comede cum uno punctorio ligneo accipiendo.
[Von Lasagne:] für Lasagne nimm Hefeteig und mache ein Teigblatt so dünn, wie du kannst. Dann teile es in quadratische Stücke mit 2 Fingern Kantenlänge. Nachher nimm kochendes Salzwasser und gib die vorher beschriebenen Lasagne zum Kochen hinen. Wenn sie gut gargekocht sind, nimm geriebenen Käse.
Und wenn du willst, kannst du damit zusmmen gute gemahlene Gewürze hinzufügen, und streue ihn mit diesem über der Auflaufform. Nachher lege darüber ein Bett aus Lasagne und bestreue es wieder, und darüber ein anderes Bett und bestreue es; und mache so weiter, bis die Auflaufform oder die Schüssel voll ist. Nachher verspeise es mit Hilfe eines Holzspießchens.
Gekochter Hefeteig ist für die heutige, europäische Küche eher ungewöhnlich, kommt aber vor, zum Beispiel bei der Zubereitung von Böhmischen Germknödeln. Die Art des Mehls wird hier nicht genannt, aber nachdem es sich beim Liber de Coquina um Gerichte für Adelige handelt, würde ich auch hier eher Weizen- als Roggenmehl annehmen. Auch hier wäre aber ein Sauerteig möglich. Ich stelle mir den Geschmack dann so ähnlich vor wie äthiopisches Injera, also leicht sauer mit einer porösen Konsistenz.
Leider bringt mich das auch nicht weiter. Obwohl man auch hier vielleicht festhalten kann, dass ein nicht gesäuerter Hefeteig definitiv eine Option wäre.
Hilfe von außerhalb?
Was ich aber noch bieten kann, kommt zwar aus einer anderen Ecke der Welt, die aber gerade im Hochmittelalter in ständigem und engem Kontakt mit Europa stand: aus der Levante nämlich. Das Buch „Scents and Flavours“ ist die Übersetzung eines Kochbuchs aus dem 13. Jhd, aus dem heutigen Syrien. Im Buch wird sogar der Einfluss europäischer Küche erwähnt.
Hier habe ich zwei hochinteressante Passagen gefunden. Und zwar zunächst einmal die Verwendung von Sauerteig, zum Beispiel hier:
S. 191, Rezept 7.100
The second kind, clay-oven bread, which is of two varieties
The first variety Take finest white flour and add fenugreek, oak moss, sourdough and the flavouring described for making ka’k [eine andere Art Brot, Anm.]. Knead with milk. Take 1/3 kg of clarified butter for every 2 kg of flour, add to the milk, and knead the bread with it. Punch down well, leave to rise completely, and flatten onto the wall of the clay oven. It turns out nicely.
Aber, und das ist noch VIEL spannender, es gibt ein Rezept, in dem die Herstellung von Sauerteig beschrieben wird und hier haben wir die separate Erwähnung von Hefe und zwar als Zusatz zum Sauerteig.
S. 203, Rezept 8.12
The eighth kind is white turnips pickled with sourdough Knead barley flour with yeast, hot water and a little salt then leave to sour. When it is quite sour, strain with hot water in which turnips have been boiled. Set them aside, and dilute and strain the leaven slowly so that it becomes thin and runny. Add thin pieces of peeled turnip, cut fom the bottom to the top of the root and boiled in water until a quarter done – the cooking water in which the leaven is to be dissolved. Sprinkle the turnips with mustard and leave to cool, then put them in the leavened broth. Add a lot of mint and rue along with orange petals and mixed spices. Keep the leaven with the turnips in it warm, and in a warm place; then eat.
In dieser Passage haben wir also tatsächlich eine sachlich getrennte Erwähnung. Allerdings – auch hier darf der Zweifel nicht ganz außen vor bleiben – kann es sich natürlich um Restsauerteig (heute würde man das eine Starter-Kultur nennen) handeln, der einer neuen Charge hinzugefügt wird. Dann stellt sich aber die Frage, warum man das nicht auch so bezeichnet hat. Ich kann leider kein Arabisch und daher kann ich nicht davon ausgehen, dass die Übersetzung korrekt ist.Trotzdem ist es ein interessante Hinweis, den man nicht ignorieren sollte.
Fazit
Oder: Was macht man jetzt daraus? (Außer Brot mit Löchern drin …)
Wenn ich nun zu meiner Anfangsfrage zurück kehre – „Gibt es Hefe als Backzutat, oder nicht?“- , stelle ich fest, dass ich falsch gefragt habe. Ich muss mir eine ganz andere Frage stellen: Hat man im Mittelalter Hefe und Sauerteig überhaupt so verwendet wie heute? Eigentlich eine Frage, die ich mir schon zu Beginn hätte stellen müssen – aber man sieht wieder einmal, wie selbstverständlich man in die eigenen, modernen Denkmuster fällt.
Also: Gab es überhaupt eine klare Trennung von Hefe und Sauerteig? Oder war Hefe nur ein Mittel um Sauerteig anzusetzen?
Heutzutage lässt man vor dem Backen die Hefe gemeinsam mit Mehl und Wasser stehen um einen Vorteig zu erzeugen. Dieser Vorteig wird aber verwendet bevor er sauer wird. War das im Mittelalter anders?
Hat man Sauerteig gar nicht weitergezüchtet, wenn man ihn einmal hatte? Vielleicht war das eine Vorgangsweise, die noch gar nicht bekannt oder nicht üblich war? Hat man jedesmal frischen Sauerteig angesetzt? Oder – um auf die Terminologie zurück zu kommen – hat man Sauerteig und nicht sauren Vorteig mit den selben Worten bezeichnet und sich dann darauf verlassen, dass der Leser des Kochbuches ohnehin weiß, welche Variante gemeint sein muss? (So wie man heute auch wüsste, dass man in Buchteln keinen Sauerteig hinein gibt, in ein Roggen-Mischbrot aber wohl?)
Oder sprechen wir IMMER von Sauerteig aber von verschiedenen Arten der Führung des Teiges? Denn es ist ja eine Frage der Zubereitung, wie sauer der Teig am Ende tatsächlich ist.
Womit wir dann bei der Geschmacksfrage wären: WOLLTE man evtl. den sauren Geschmack? Ist nicht-saurer Teig eine moderne Erfindung?
Beim Geschmack ist auch zu bedenken – wie oben schon erwähnt – dass natürlich auch Bierhefe nicht so verhältnismäßig neutral schmeckt wie heutige Backhefe. War dieser Geschmack erwünscht?
Dazu kommt noch ein weiterer, wichtiger Aspekt, der hier wenigstens erwähnt werden muss: es gab ganz sicher verschiedene Zubereitungsmethoden, vielleicht sogar in jedem Haushalt eine andere. So wie man das ja auch heute noch von Hausmannskost kennt. Sehr wahrscheinlich gab es ‚DIE‘ allgemein gültige Methode mit Triebmitteln umzugehen gar nicht. (Vielen Dank an Silvia Bestgen von ZeitenSprung für den Hinweis, da hat sie nämlich absolut recht damit.)
Ich kann meine obigen Fragen jedenfalls nicht beantworten. Aber was ich tun kann, ist ein wenig spekulieren.
Gehen wir einmal davon aus, dass es eine Trennung im modernen Sinn gab – also in sauren und nicht sauren Teig bzw. Backergebnis. Wir haben oben mehrfach das Brauen angerissen. Man geht davon aus, dass viel zuhause gebraut wurde, wenn das im H0chmittelalter auch kein Bier in unserem Sinne war. Lt. Anne Schulz ist dieses Bier am Ehesten noch mit dem heutigen Weißbier vergleichbar, weil es ausschließlich obergärige Biere waren. (Das bedeutet, dass die Hefe sich oben absetzt.) Diese Biere waren alle nicht lange haltbar und mussten relativ schnell getrunken werden. Man hat also nicht nur einmal im Jahr gebraut sondern öfter.
Im Blog der Archäologin Merryn Dineley ‚Ancient Malt and Ale‘ findet sich eine Reihe von sehr interessanten Einträgen zur Brauerei im Neolithikum, der Bronzezeit und Eisenzeit. Eines haben alle Brauprozesse gemeinsam: es fällt Hefe an. Diese Hefe kann man relativ problemlos über mehrere Wochen aufheben, solang man sie gekühlt (also in einem Keller oder auch eingegraben in der Erde) aufhebt. Dineley hat auch Versuche mit dem Trocknen von Hefe gemacht, was ebenso funktioniert.
Bei all diesen Gedanken komme ich immer wieder zu dem Schluss, dass Brauhefe mehr oder weniger ständig zur Verfügung gestanden haben könnte. Warum also nicht damit backen? Im Spätmittelalter ist die Weitergabe von Brauhefe an Bäckereien ja eine bekannte Tatsache. Im Jahr 1500 befiehlt Herzog Albrecht VI in München etwa, dass nur noch die Brauer Hefe herstellen dürfen, die Bäcker jedoch nicht mehr.
Es gibt noch sehr viele Ansätze, die man hier verfolgen könnte, wie oben schon aufgelistet. Aber meine nächsten Schritte werden einige praktische Versuche mit Brauhefe, Hefewasser und möglichst wenig sauer geführtem Sauerteig sein.
Und natürlich die Rezepte aus dem Liber de Coquina, die unbedingt mit Sauerteig ausprobiert werden möchten.
UPDATE: Einige Versuche zum Thema Hefe habe ich inzwischen hier gemacht.
UPDATE 2: Mein bevozugtes Rezept für Sauerteig-Brot findet sich hier.
UPDATE 3: Das Rezept zur Lasagne im Liber de Coquina mit Sauerteig ist hier zu finden.
Wenn jemand von euch da draußen andere oder weiterführende Erkentnisse zu diesem sehr komplizierten Thema hat, würde ich mich über den Austausch sehr freuen!
Literatur:
Originaltext Causae et Curae auf Archive.org
Von Bingen, Hildegard „Ursprung und Behandlung der Krankheiten – Causae et Curae“ Übersetzung u. Einleitung: Ortrun Riha, Beuroner Kunstverlag, Ulm, 2011
Perry, Charles (Ed., Transl.) „Scents and Flavors – A Syrian Cookbook“, New York University Press, New York, 2017
Maier, Robert „Glossarium Culinarium Latinum – Lateinisches Wörterbuch der Kochkunst“, Version 4.01, Eigenverlag, Freising, 1990 – 2018
Maier, Robert (HG, Übers.) „Liber de Coquina – Das Buch der guten Küche“ Robert Maier, Eigenverlag, Freising 2005 – 2017
Schulz, Anne „Essen und Trinken im Mittelalter (1000 – 1300) – Literarische, kunsthistorische und archäologische Quellen“ Ergänzungsband zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 74, De Gruyter, Berlin/Boston, 2011
Schubert, Ernst „Essen und Trinken im Mittelalter“ Primusverlag, Darmstatt, 2006
Exkurs:
* Man kann übrigens, entgegen dem, was im Wikipedia-Artikel steht, auch mit Backhefe brauen, wenn das auch nur in sehr eingeschränktem Maße möglich ist. Warum, würde hier zu weit führen, aber hier ein Link zum Herstellen einer sehr alten, finnischen Biersorte namens Sahti, die mit Backhefe hergestellt wird:
Physiology of Finnish Baker’s Yeast
Sahti – the Finnish Farmhouse Ale
** Hefewasser – es funktioniert!
Die folgenden Bilder wurden mir nach Veröffentlichung meines Artikels mit freundlicher Genehmigung von Elisande von der SCA zur Verfügung gestellt. Die Bildrechte liegen natürlich vollständig bei ihr. Ihr Hefewasser ist lediglich mit Mirabellen (direkt vom Baum!) und ohne zusätzlichen Zucker oder Honig angesetzt. Sie sagte mir, dass es ganz hervorragend funktioniert hat. Auch der von ihr danach angesetzte Vorteig ist aufs Doppelte aufgegangen, wenn das auch eine Nacht gedauert hat. Das Brot ist schön luftig, schmeckt nicht säuerlich und ist sehr gut geworden. Der fruchtige Geschmack verliert sich komplett.
All pictures© Elisande of the SCA
Ich finde ja das Rezept zum rüben fermentieren besonders spannend. man kann ja auch lactofermentieren wenn man die Gemüse direkt mit Salz einlegt.. da gibt es leider so wenig in den QUellen zu, obwohl es Sauerkraut sicher gab. Das hier die Bakterien eines Sauerteiges verwendet werden, könnte entweder darauf hindeuten dass diese methode zumindest im relativ warmen Syrien unbekannt war. oder dass es einen anderen Geschmack bekommt mit ST. Ich werde mal experiementieren… und berichten
Wenn du es gerne probieren möchtest, muss ich nochmal nachschauen, ob das Rezept auch vollständig ist. Ich habe bei den syrischen Rezepten nur das gepostet, was für meinen Artikel relevant war. Ich schreibe sonst hier noch einmal das vollständige Rezept herein.
Ich habe das Rezept jetzt vervollständigt.
Hallo Friedrich und Hildegard, bzw Chrisat und René,
ich bin Fremdenführerin und mache die Bier.Kult!Tour: Freistadt-Führungen. Ergänzend zu eurem Artikel darf ich anmerken:
auch wenn der Hopfen seit dem 12. (?) bzw. 13. Jhdt. beim Bierbrauen verwendet wurde und auch die untergärige Hefe wohl schon im Lauf des 14. Jhdt. auftauchte, so bleibt ein Faktum: bis ins 18. Jhdt wurden die Brauer angehalten, immer wieder mal obergärig und ohne Hopfen zu brauen, weil sie den Bäckern das „Zeugl“ geben mussten. Das war die Hefe, die sich beim Brauen vermehrt hat und die sollte tunlichst nicht hopfenbitter schmecken. Daher haben sich die sog. „Gru(i)tbiere“ erstaunlich lang gehalten.
Danke für euren informativen Artikel und liebe Grüße
Hallo Sonja,
fein, dass dir unser Artikel gefallen hat.
Kurz zu deinem Kommentar: Hopfen wurde, soweit man das noch nachvollziehen kann, gegen Ende des 12. Jhd eingeführt.
Dass später noch obergärig gebraut wurde, ist auf jeden Fall interessant, wobei sich gerade fürs Hochmittelalter die Verbindung von Brauer zu Bäcker aber eben leider nicht zweifelsfrei belegen lässt. Wir haben schlicht zuwenig Information aus dieser Zeit.
In den Klöstern ist es auch im 12. Jhd naheliegend aber überall sonst … das hängt von sehr vielen Faktoren ab. Zum Beispiel von der gerade erst aufkommenden Spezialisierung, die sicher in den Städten eher da war als anderswo.
Mit einem Wort: Es ist kompliziert 🙂
Und das macht es auch so spannend.
Liebe Grüße
Christa