Leim und Sülze

Wer ans Kochen denkt, denkt ganz sicher nicht an Leim. Leim ist im historischen Zusammenhang etwas für Tischler oder auch für Maler. (Lt. Theophilus Presbyter, Ausgabe von Erhard Prepohl, Böhlau Verlag, 2013 ab Kapitel 17) Aber sicherlich nicht für Köche … oder?

Nunja. Eigentlich schon. Im Mittelalter wurde Leim nämlich aus Tierprodukten gemacht. Aus Knochen, Haut, Fischabfällen und ähnlichem.  Je nach Rezeptur haben diese Leime eine mehr oder weniger starke Klebekraft.

Der Punkt, den ich hier verfolgen möchte ist aber, dass das genau die selben Zutaten sind, die man auch für Gelatine verwendet. Und ja, liebe Leute da draußen, das ist auch heute noch der Fall. Das Zeug, das eure Tortenfüllungen davor bewahrt davon zu rinnen? Das die Sülze zusammenhält? Das die Gummibären nach Bären aussehen lässt? Schlachtabfälle.

Und ich finde das großartig!

((Einschub: Ich will mich hier nicht über omnivore vs.  vegetarische oder vegane Lebensführung auslassen, das gehört hier nicht hin und ich möchte auch darum bitten, Kommentare in diese Richtung zu unterlassen.))

Zurück zum Thema: wenn man ein Tier tötet um es zu essen, sollte man auch ALLES verwerten. Dazu gehören auch Haut und Knochen. Die Produktion von Gelatine tut genau das. Und zwar nicht erst seit der Moderne.

Hier ein interessanter Auszug aus einem Kochbuch, das um 1445 entstanden ist:

„Willst du eine andere Sülze machen, dann nimm Kalbsfüße, säubere sie gründlich, siede sie so stark ab, dass sich die Knochen vom Rest leicht lösen lassen und dass sie (die Kalbsfüße oder nur die Knochen) sich zerkleinern lassen wie zu einem Brei. Gieße es dann in ein sauberes Gefäß, lass es an der Luft hart werden wie Leim und mache es dann zu Pulver. Damit kannst du zu jeder Jahreszeit eine Sülze aus bzw. zu Fisch oder Fleisch machen, es wird schön fest werden. Man kann mit dem Pulver auch zu einem späteren Zeitpunkt Sülze bereiten, in einem oder zwei Jahren oder wann man gerne möchte.“

(Gloning, Thomas (HG, Übers.), Trude Ehlert „Rheinfränkisches Kochbuch, um 1445“ Sammelhandschrift Ms.germ.fol. 244, Staatsbibliothek Berlin, Tupperware Deutschland GmbH, Donauwörth, 1998, S. 30 f)

Wir haben es also mit früher Herstellung von Gelatine als Convenience-Produkt zu tun, das von unserer Blatt- oder Granulatgelatine gar nicht so weit weg ist.

Natürlich kannte man Gelatine bzw. deren Wirkung aber schon weit früher. Schon in Apicius‘ „De Re Coquinaria“ (Endfassung 3. oder 4. Jhd n. Chr.) kann man von drei Sorten Salla Cattabia (Aspiksalat) lesen. (Buch IV, Rezepte I – III).

Im Liber de Coquina gibt es sowohl Rezepte für Fisch als auch für Fleisch in Gelatine. Bei den Fischen wird sogar extra auf die längere Haltbarkeit aufmerksam gemacht, auf die ich weiter unten noch zu sprechen kommen werde. (TR III 3.2. und 3.8. und LC II (7) 7.41. in der Ausgabe von Robert Maier, Freising, 2005)

Auch in der Dichtung kommt die Sülze vor. Und zwar schon früh. In der anonymen, geistlichen Dichtung im 11. bzw. 12. Jhd. gibt es ein Gedicht, namens „Vom Himmelreich“ das Folgendes aussagt (in der Übersetzung): „Um Fleisch und Fisch(e) als Beilage zu haben, muss man beides weder kochen noch in Sülze einlegen.“ (Die religiöse Dichtung, Bd 1, 1964, In: Schulz, Anne, „Essen und Trinken im Mittelalter – (1000 – 1300)“ De Gruyter, Berlin, 2011)

Und schließlich gibt es ganze Lobgesänge zum Fleisch. Anfang des 14. Jhds nämlich besang der Dichter „König vom Odenwald“ die Vorteile von Tieren, unter anderem von Kühen und Schweinen. Deren Fleisch isst er auch gerne in Sülze eingelegt. (Schulz, Anne „Essen und Trinken im Mittelalter – (1000 – 1300)“ De Gruyter, Berlin, 2011)

Man sieht also, Sülze, also Gelatine, ist schon seit sehr, sehr langer Zeit nicht nur vorhanden sondern auch beliebt und bekannt.

Im Prinzip erhält man Gelatine wann immer man Teile von einem Tier auskocht, die viel Kollagen enthalten. Das betrifft das Bindegewebe, Unterhaut, Knochen, Knorpel, Sehnen, etc.

Vielleicht hat jemand von euch ja schon einmal Rindsuppe aus Knochen gekocht, die dann einreduzieren und schließlich auskühlen lassen. Was man dann bekommt ist eine Schicht Fett und konzentrierte Suppe, die durch den hohen Gelatinegehalt fest geworden ist, und die man problemlos durch Aufwärmen wieder verflüssigen kann.

Dieser Effekt war natürlich auch im Mittelalter schon bekannt und wurde genutzt. Fleisch, das in Gelatine eingelassen wird und dann vielleicht noch eine schöne Schicht fest gewordenes Fett oben drauf hat, hält sich deutlich länger, weil Gelatine und Fett das Fleisch luftdicht abschließen.

Es war also eine ideale Möglichkeit, Fleisch, das sich sonst schwer im Ganzen ablösen lässt (zum Beispiel vom Kopf) für eine Weile zu konservieren. Man kocht einfach den ganzen Kopf, löst das Fleisch ab, gibt es in ein Gefäß, kocht die Suppe herunter und schüttet sie dann über das Fleisch. Jetzt muss das Ganze nur noch kalt werden. Da meistens im Herbst oder Winter geschlachtet wurde, ist das das geringste Problem gewesen, wobei das oben genannten Kochbuch auch einen Tip gibt, wie man die Sulz auch ohne Winterkälte gekühlt bekommt.

„Willst du auf eine weitere Art Sülze machen, dann lass dir ein irdenes Gefäß machen, das glasiert ist. In dieses Gefäß gieße im Sommer die Sülze und vergrabe das Gefäß die Spanne einer Hand tief in der Erde, dann geliert die Sülze und wird fest.“

(Gloning, S. 30 f)

Und was hat das Ganze nun mit Leim zu tun, abgesehen davon, dass beides aus den selben Grundzutaten gemacht wird? Ganz einfach: Gelatine klebt. Und zwar recht kräftig. Wenn ihr aufgelöste Gelatine habt, steckt die Finger hinein und presst dann Daumen und Zeigefinger aufeinander. Sogar schon in dem Stadium, also warm und in ‚Kochstärke‘ kann man spüren, dass es klebt.

Im folgenden Video werden die verschiedenen Tierleime für Holzverbindungen eingesetzt und verglichen. Auch ganz gewöhnliche, handelsübliche Gelatine wurde ausprobiert und hat durchaus befriedigende Ergebnisse geliefert.

Sollte euch Holzhandwerkern da draußen also mal der Leim ausgehen, kommt in die Küche und holt euch welchen!

Disclaimer: Ich möchte hier aber noch betonen, dass ich keinen Beleg für die Verwendung von (Küchen-)Gelatine als Leim im Mittelalter habe!

 

 

 

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