Hefe und Sauerteig – Eine Geschichte voller Missverständnisse?

„Das frühmittelalterliche Brot war – einer universalgeschichtlich nachweisbaren Erscheinung entsprechend – ein Fladenbrot, ähnelte dem heutigen Knäckebrot. Es wurde auf offenem Herd, bestenfalls unter einer Backglocke ohne Treibmittel zubereitet. Weil zudem der pappige Teig schlecht durchbuk, konnte kein Brotlaib, sondern nur ein flaches Gebäck entstehen. Erst um 1300 wird das Fladenbrot allmählich
durch das Sauerteigbrot verdrängt.“ (Schubert, S. 84)

Dieses Zitat aus Schuberts „Essen und Trinken im Mittelalter“ hat meine Aufmerksamkeit als Erstes auf das Thema Triebmittel im Mittelalter gelenkt. Ich konnte das, was ich da gelesen habe, nämlich schlicht nicht glauben. Triebmittel erst ab 1300? Was? Nun gilt Schuberts Buch als eines der Standardwerke zum Thema Ernährung im Mittelalter – eine Meinung, die ich übrigens ganz und gar nicht teile – also habe ich die Herausforderung angenommen und habe begonnen mich ernsthafter mit dem Thema zu beschäftigen.

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Rezension – Anne Schulz „Essen und Trinken im Mittelalter 1000 – 1300“

 

Schulz, Anne „Essen und Trinken im Mittelalter (1000 – 1300)  – Literarische, kunsthistorische und archäologische Quellen“ Ergänzungsband zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 74, De Gruyter, Berlin/Boston, 2011

Zunächst das Wichtigste: es handelt sich bei diesem Buch (wie aus der Quellenangabe ersichtlich) um einen Ergänzungsband zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, basierend auf der Dissertation von Anne Schulz. Die vorliegende Neuauflage ist eine erweiterte und überarbeitete Version von 2011. Das heißt: wir haben es mit einem recht aktuellen, wissenschaftlichen Werk zu tun.  Daher kann man davon ausgehen, dass die Erkenntnisse nach wissenschaftlichen Standards gewonnen wurden und noch nicht (oder wenigstens nicht gravierend) veraltet sind.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Es handelt sich hier NICHT um ein Kochbuch! Statt dessen geht es um alles rund um Nahrungsmittel, Küchenpraxis und Ernährung. Anne Schulz hat die gewaltige Aufgabe auf sich genommen, das Essen und Trinken in der Zeit von 1000 – 1300 anhand einer ganzen Reihe von Quellen zu untersuchen.

Entsprechend gliedert sich das über 800 Seiten umfassende Buch wie folgt (Grobgliederung ohne Unterkapitel):

  1. Cause Operandi (Hier erklärt Schulz zunächst ihre Vorgehensweise, die Einschränkungen und Notwendigkeiten ihrer Forschung.)
  2. Fest und Mahl – Essen und Trinken in der höfischen Literatur
  3. Die Tafel im Bild (Malerei als Quelle)
  4. Ländliches Nahrungswesen im Spiegel der Dichtung
  5. Das Leben in städtischen Siedlungen
  6. Essen und Trinken in kirchenlichen Kreisen
  7. Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
  8. „daz muosen tiure näphe sin“ – Tischgerät und Küchenutensilien
  9. Zusammenfassung und Ausblick
  10. Literaturverzeichnis (sehr umfangreich!)

Weiters folgt ein langer, ausführlicher Anhang über beinahe weitere 200 Seiten mit Kapiteln zur Konservierung von Lebensmitteln, Hygiene, Ernährungsbedingte Krankheiten, die Küche als Ort, etc.

Und schließlich noch einmal etwa 50 Seiten mit Tabellen, Registern und Nachweisen.

Das Buch ist sicherlich nicht populärwissenschaftlich, aber dennoch gut lesbar und vor Allem sehr gut strukturiert. Man weiß zu jeder Zeit wo in Schulz‘ Ausführungen man sich befindet, man muss selten sehr lange nach Zeitangaben suchen und sie schweift kaum einmal ab. Das macht das Buch auch zu einem recht handlichen Nachschlagewerk.

Es empfiehlt sich lediglich, ein paar Markierungen zwischen den einzelnen Hauptkapiteln und der entsprechenden Passage in der Zusammenfassung zu setzen (in meinem Fall altmodisch per Zettel). So wie es sich gehört findet sich in der Zusammenfassung die Kurzversion der vorher diskutierten Kapitel. Man kann also recht schnell auf die Hauptargumente zugreifen und sie weiter verwenden.

In der Zusammenfassung findet man übrigens auch ein Kapitelchen mit einer nicht unkritischen Passage zum Thema Mittelaltermärkte bzw. zu der von MA-Märkten geförderten Mittelalterrezeption .

Das Buch enthält, wie oben angedeutet, eine sehr große, sehr umfangreiche Literaturliste. Alleine das ist ein Schatz für unsereins. Obskure Zeitschriftenartikel finden sich hier ebenso wie die Hauptwerke zum Thema.

Eine riesige Menge an gut recherchierter Information also. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass man sie kritiklos hinnehmen sollte! Mein Exemplar ist mit kleinen Fragezeichen-Zetteln gespickt, wo ich entweder nicht der Meinung der Autorin bin oder ich die Aussage grundsätzlich für falsch halte. Ein kleines Beispiel dazu: Auf Seite 319 erörtert Schulz die Ernährung im Winter und sagt dazu „im Winter ließ sich ja an Gemüse oder Obst lediglich auf den Tisch bringen, was dörrbar oder z. B. durch Einlegen […] oder Einsalzen dauerhafter wurde.“Dabei übersieht sie, dass es eine ganze Reihe von Obst- und Gemüsearten gibt, die sehr gut roh lagerbar sind. Dazu gehören die meisten Rübenarten, ebenso wie viele, gerade auch alte, Apfel- und Birnensorten.

Auch ganz offensichtliche Fehler, die auf eine Wissens- oder Wahrnehmungslücke schließen lassen gibt es. Auf S. 631 ist ein Bild aus einer Handschrift (Anfang 13. Jhd) zu sehen, auf der ein Mann kocht, der eine Bundhaube trägt. Schulz hält den Mann für eine Köchin, „deren Haar durch eine Haube fast ganz bedeckt ist.“ Kennt man sich in der Kostümkunde ein wenig aus, ist sofort klar, dass es sich nicht um eine Frau handelt.

Persönlich finde ich es auch schade, dass Anne Schulz keinerlei Bezug auf die erhaltenen Kochbücher nimmt, der Großteil davon mag jünger sein als der von ihr bearbeitete Zeitschnitt, es gibt aber auch einige erhaltene Sammlungen aus dem Hochmittelalter. Ein kurzes Kapitel zu dem Thema wäre angebracht gewesen.

Trotz seiner Fehler halte ich das Buch für ein absolutes Standardwerk zum Thema und würde jedem, der sich mit der Materie beschäftigt die Lektüre empfehlen.  Man erhält fundierte Recherche, eine Vielzahl an Quellen und eine solide Grundlage. Und natürlich viele, viele Ansatzpunkte um selber weiter zu recherchieren – was für unsereins ja fast das Beste daran ist 🙂